Alles ist eine Frage der Zeit. Wohl auch das Ende der Menschheit. Dieses schmale, unscheinbare Buch, dass daherhommt, wie eines der unzähligen Katzenbücher, die sich auf Büchertischen ausbreiten, seziert mit messerscharfer Klinge und Spitze am noch lebenden Objekt. „Gegenangriff“ ist das Protokoll eines Untergangs.
Nadja Niemeyer ist ein Pseudonym. Angesichts dessen, womit mich die Schreibende konfrontiert, verstehe ist diesen Schritt. Sie wolle nicht an Debatten teilnehmen, habe dem Buch nichts hinzuzufügen. Ich hätte ihr gerne ein paar Fragen gestellt, vielleicht auch nur, um nach der Lektüre ihres Buches meine Fantasie zu beruhigen. Ihr Pamphlet hat nichts Beschwörendes, ist weder Drohung noch Warnung, vielleicht nicht einmal als Gedankenspiel zu verstehen. Nadja Niemeyer beschreibt mit aller verfügbarer Sachlichkeit nicht weniger als das baldige Ende der Spezies Mensch, das schnelle Ende eines Schädlings, der sich über die Jahrtausende wie ein Geschwür über diesen einen Globus ausbreitete.
Ameisen leben in riesigen Gemeinschaften. Wälder sind nicht bloss Ansammlungen von Bäumen und Gesträuch, sondern Pflanzengemeinschaften, die miteinander verbunden sind. Pilze ebenfalls. Wie irrig zu glauben, diese Art von kollektiver Intelligenz wäre der unsrigen weit unterlegen, zumal man beim Menschen in keiner Weise von einer kollektiven Intelligenz sprechen kann. Was den Menschen ausmacht, seine Individualität, hat durchaus das Zeug, das Gift für seinen Untergang zu werden. Die Geschichte und die Gegenwart macht überdeutlich, wie sehr die Menschen in den Würgegriff eines einzelnen Individuums geraten können, wie leicht die Intelligenz seiner Untergebenen in soldatischen Gehorsam ausgelöscht werden kann. Indizien gibt es genug, dass das Horrorszenario, das Nadja Niemeyer beschreibt, einen bedrückenden Anteil Wirklichkeit in sich trägt.
Bis vor zweihundert Jahren waren es die Menschen, die sich in Städten einschlossen, um sich vor der Natur zu schützen. Besiedlung war ein Kampf gegen die Tücken der Natur. In der Gegenwart ist es die Natur, die man vor den Menschen und ihrer aggressiven Ausbreitung schützen muss, mit Stacheldraht und Mauern. Warum sollte sich der Rest, der geblieben ist, die kollektive Intelligenz, über die das Tier- und Pflanzenreich verfügt, nicht mit einem Mal kurzschliessen, um sich in einem finalen Kraftakt gegen jene Spezies zu stemmen, die alles unternimmt, um diesen Planeten für restlos alle und alles unbewohnbar zu machen?
Zuerst sind es die Ratten in den grossen Städten, zum Beispiel in New York. Es gibt Millionen von ihnen, kampferprobt. Sie zerbeissen Stromleitungen. Das genügt nicht nur, um das Leben in der riesigen Stadt zum Erlahmen zu bringen; die U-Bahn bleibt stehen, Menschen verhungern in Aufzügen, selbst Notstromaggregate können nicht verhindern, dass Menschen in Spitälern reihenweise sterben, auch das Internet regt sich nicht mehr. Alle Informationsströme sind gekappt, Panik bricht aus.
Ich glaube ebenso an eine kollektive Intelligenz der Natur wie an die grenzenlose Naivität und Dummheit der Menschheit. Solange wir mit einem SUV zum Einkaufen fahren, zum Shopping nach New York fliegen, Kleidungsstücke wie Souvenirs kaufen und unser Geld in Bitcoins investieren, statt in direkte Projekte, die sich um den Fortbestand eines friedlichen Miteinanders von Menschheit und Natur bemühen, solange der Mensch dem Untertan Natur noch mit dem immer gleichen Prinzip der Unterwerfung und Ausbeutung an den Kragen geht, sind Szenarien, wie denen von Nadja Niemeyer nur wenig entgegenzuhalten. Und wenn sich die Autorin durch ein Pseudonym vor all den Entschuldigungen, Beteuerungen und Verniedlichungen schützen will, verstehe ich das sehr wohl. Nichts desto Trotz ist „Gegenangriff“ absolut lesenswert, auch wenn das Buch mit den zwei niedlichen Kätzchen auf dem Cover das Zeug hat, sich in Alpträume zu mischen!
Die Autorin schreibt absolut sachlich, ohne jeden Pathos, schildert das Fallen der Dominosteine. Irgendwann wird es wieder ruhig auf dem Planeten, denn die eigentliche Ausrottung der Menschheit übernimmt der Mensch selbst – Männer.
Nadja Niemeyer heisst in Wirklichkeit anders.
Beitragsbild © Sandra Kottonau