Der Wohnblock
Stockwerke übereinander gestapelt wie Kartonschachteln, voll mit Plüschsofas und Fernsehgeräten, Kuckucksuhren, Aquarien und Gummibäumen. Vierundzwanzigmal ein Stück gemietete Heimat mit Grenzen aus dünnhäutigen Wänden. Namensschilder statt Menschen. Türen im Multipack. Fenster in Reih und Glied. Verstopfte Abläufe und defekte Storen gehören zum Alltag. Die Hausordnung hat mehr als zehn Gebote. Du sollst nicht Lärm machen zur Unzeit. An den Treppenhausmief gewöhnt man sich, an den Waschküchenplan nicht. Die Frau des Hausverwalters wischt die Stufen. Im Winter ist die Fassade leer. Im Sommer ergiessen sich Geranien wie bunter Badeschaum über die Balkone, und aus den Radios scheppern Pavarotti, Ramazzotti und Kaleb. Ganz oben scheint die Sonne länger. Unten rauscht das Meer aus Blech.
Kino
Irgendwo am Sunset Boulevard. Die letzte Vorstellung. Zwei Tickets für eine Hand voll Dollar. Eine Tüte Popcorn und eine Coke, bitte. Thelma & Louise weisen den Weg zu den Plätzen aus rotem Plüsch. Lange Beine, kurze Röcke. Manche mögen’s heiss. In den Rängen hält ein Midnight Cowboy seine pretty Woman im Arm. Der stramme Goldjunge Oscar sitzt in der ersten Reihe. Auf den billigen Plätzen tummeln sich die nervigen Poltergeister. Jean-Paul Belmondo und Jane Seberg sind wie immer zu spät und völlig ausser Atem. Das Licht geht aus, doch die Men in Black behalten ihre Sonnenbrillen auf. Der Projektor surrt, ein Löwe brüllt. Nur noch 12 Sekunden bis zur Ewigkeit. Endlich beginnen die Stars zu leuchten. In den Hauptrollen: der blaue Engel, des Teufels General und Dr. Mabuse. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Das Publikum vergisst die Realität, wird zurück in die Zukunft geworfen, hört den Fluch der Karibik, verliert sich in 3D, ist jenseits von Eden. Liebe, Verrat und Tod allenthalben. The End. Der Saal leert sich. Wollen wir noch in Rick’s Café? Im Regen vor dem Filmpalast wartet ein Taxi Driver. Er sieht aus wie Robert De Niro.
Damals beim Coiffeur
Zwei Schaufenster, vier Stufen, eine Tür. Dahinter öffnet sich die Welt der Scheren, Bürsten und Kämme, der Shampoos, Lockenwickler und Haarfarben. Waschen, legen, frisieren seit 35 Jahren. Alles alte Schule. An den Wänden Reklameplakate, ausgebleicht von der Zeit. In der Mitte zwei Frisierstühle mit Polstern aus Plastik, rot und glänzend wie lackierte Fingernägel. Spiegel zeigen eine verkehrte Wirklichkeit. Einmal aussehen wie Doris Day. Die Trockenhaube hat viel zu tun. An der Decke surrt ein Ventilator, und aus dem Radio scherbelt Frank Sinatra. I did it my way. Eine Wolke aus Haarspray schwebt im Raum. Hochsteckfrisuren wachsen bis zur Decke. Die Monroes der Vorstadt wollen immer dasselbe: Wasserstoffblond. Gern doch, eine Maniküre für Madame, und eine gründliche Rasur mit dem Messer für den gepflegten Herrn, Dampfkompresse inklusive. Ein Salon vom Scheitel bis zur Sohle.
Dominique Anne Schuetz, geboren in Winterthur (CH), ist aufgewachsen in St. Gallen. Studium Graphic Design an der Schule für Gestaltung St. Gallen. Zunächst Art Director, dann Konzepterin/Texterin und Creative Director in namhaften Kommunikationsagenturen.
Seit 2007 Ausrichtung auf das Schreiben von Romanen, die Entwicklung von Kulturprojekten und die Arbeit als Konzepterin / Texterin. Ihre beiden letzten Romane «Die unsichtbare Grenze» und «Von einem, der auszog, die Welt zu verschieben» sind beim Europa Verlag erschienen. Ein neuer Roman ist unterwegs!