Eindrücke und Statements vom 16. Wortlaut Literaturfestival St. Gallen

Das 16. Wortlaut St. Galler Literaturfestival war ein voller Erfolg. Für drei Tage war die Ostschweizer Metropole das Mekka der Literatur. 40 Gäste aus dem In- und Ausland beglückten Literaturinteressierte mit Lesungen, Performances, Gesprächen und Musik und boten spannende Impulse zum Festivalmotto «Hoffen und Bangen».

Ein sehr schönes Festival in St. Gallen, tolles Publikum, spannende Gäste, perfekte Organisation, gutes Essen. Vielen Dank dafür. Peter Stamm

© Timona Furrer
Dank an Ariane Novel, Gallus Frei und das ganze Festivalteam für Frühlingstage in St.Gallen – an Peter Stamm für die Einladung zum Carte Blanche am Sonntagmittag… und ein großer Dank an ein tolles Publikum: Schön war’s! Judith Hermann
 
© Timon Furrer
Ich durfte als Stadtrat die Begrüssungsrede halten. Ein kleiner Auszug davon: «Das Motto hat mich sehr bewegt und zugleich herausgefordert. Herausgefordert hat es mich in den vergangenen Tagen, wenn nicht Wochen, im Hinblick auf den vom OK an mich gestellten Auftrag, nämliche eine «Kleine Ansprache» zum Motto «Hoffen und Bangen» zu halten. Ich habe gehadert. Den Anstoss gegeben hat mir dann letzten Endes der Artikel im Tagblatt vom vergangenen Mittwoch, in dem Gallus Frei zitiert wird, dass ‘Texte etwas auslösen müssen – sei es Begeisterung, Faszination oder Verunsicherung’; ein Text dürfe nicht kalt lassen.» Persönliche Schicksale können und sollen im Literaturbereich verarbeitet werden. Das ist einem Publikum zuzumuten, meine ich. Danke, lieber Gallus, liebes OK für die Möglichkeit! Mathias Gabathuler, Stadtrat
 
© chrispix

«Lieber Gallus Frei, dieses Festival ist ein ganz besonderes Erlebnis gewesen. Vielen lieben Dank für die großartige Organisation und den schönen Leseort. Es war ein großes Vergnügen, vor dem Schweizer Publikum lesen sowie Rede und Antwort stehen zu dürfen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen!» Ewald Arenz

© Timon Furrer

«Quand on va de Genève à Saint-Gall, c’est comme traverser en un jour un immense pays. Et quand on arrive à la poste de Saint-Gall et qu’on est accueilli avec tant de sympathie, on se dit que ça valait vraiment le voyage. En merci, cher Gallus, de m’avoir laissé parler en public d’Un dimanche à la montagne, c’était une première en Suisse. Amicalement.» Daniel de Roulet

© Timon Furrer

«Was für ein schöner Sonntagmorgen! Die Matinee-Gäste, das Wetter und dir Betreuung vom Wortlaut-Team: alles wunderfrühlingsherrlichschön. Vielen Dank für die Einladung zu Wortlaut!» Michèle Minelli

© Sandra Kottonau

«Es war so erfreulich, wieder beim literarischen St. Galler Heimspiel mit dabei sein zu dürfen! Ich hatte – auch dank der tollen Moderatorin Cornelia Mechler – einen wunderbaren Anlass. Ein Heimspiel eben. Danke Wortlaut!» Christoph Keller

© Sandra Kottonau

«Es hat Freude gemacht, die grosse Bibliothek wie verzaubert zu sehen und immer wieder Leute zu beobachten, die Räume suchend herumeilten, um die nächste Lesung nicht zu verpassen, während andere in Sesseln sassen und lasen. Hoffen und bangen – beides Verben, die sich auf die Zukunft beziehen. Und auch ein Anlass, zu bemerken, dass sich in der Gegenwart Dinge erfüllen, die man sich gewünscht und nach denen man sich gesehnt hat!» Judith Keller

«Was erst als Notvariante erschien, entpuppte sich bei dem schlechten Wetter als goldrichtig: ein prallvolles Bibliotheks Café mit interessiertem Publikum. Die Sofabank als improvisierte Bühne gewährte zumindest einen Hauch von Strassentheater. Vielen Dank ans gesamte sehr engagierte Wortlaut Team.» Marcus Schäfer

Daniela Koch (Atlantis), Jo Lendle (Hanser), Bettina Spoerri (Geparden) und Moderator Jürg Ackermann (Tagblatt) © Philipp Neff
«Liebe Ariane und lieber Gallus, es war mir eine Freude, bei eurem schönen Festival dabei zu sein. Das Podiumsgespräch (Zukunft des Buches) war für mich sehr anregend und schlug klar Richtung «Hoffen» aus. Die Branche ist unter Druck, ja, aber sie ist auch stark und entwickelt immer wieder gute Ideen. Was man nicht zuletzt bei einem Festival wie Wortlaut in St. Gallen spüren kann!» Daniela Koch
 
Laura Vogt und Theres Roth-Hunkeler © Sandra Kottonau

«Ich trage das Wortlaut-Bändchen noch immer am Arm, damit die Erinnerungen an die Begegnungen mit Texten und Menschen, die der Literatur gewogen sind, immer wieder aufwallen. Ein grossartiges Festial habt ihr uns geschenkt. Vielfältiges Programm, tolle Moderator:innen, schöne Räumlichkeiten und heitere Atmosphäre. Ja, hoffen, hoffen, hoffen – das Bangen ist eh immer präsent. Grossen Dank für eure riesige Arbeit.» Theres Roth-Hunkeler

© Philipp Neff

«Grosses Dankeschön an das gesamte Wortlaut-Team. Dank Gallus Initiative durften wir im Café San Gall die Kurzlesungen geben. Eine riesen Chance und einmalige Erfahrung für uns Neulinge. Es war ein unvergessliches Erlebnis, an das ich gerne zurückdenke. Ich freue mich jetzt schon auf nächstes Jahr, wenn St. Gallen sich wieder von seiner literarischen Seite zeigt.» Noreen

© Sandra Kottonau

«Danke dem ganzen Wortlautteam, allen Helfenden für die Gastfreundschaft, eure umsichtige Planung, ihr habt selbst an so viele Kleinigkeiten gedacht, die es so angenehm gemacht habe. Auch mir war es eine wirklich Freude dabei sein zu dürfen. Danke für das Vertrauen in unsere Arbeit. Dieser Dank gilt auch meinen beiden Gesprächspartnern Frédérik Zwicker und Ewald Arenz, es waren sehr persönliche und spannende Einblicke in ihre Geschichten.» Judith Zwick

© Philipp Neff

«Ein riesengrosser Dank an Ariane und das ganze Wortlaut-Team, dass ihr die «Lücke» so rasch, umsichtig und mit so unendlich grossem Engagement füllen konntet. Der Tag war rundum gelungen, meine Moderationen waren mir eine Ehre und Freude zugleich. Schön war auch, dass genügend Zeit zum Austausch blieb.» Cornelia Mechler

© Timon Furrer

«Vielen Dank für die schöne Einladung zum Wortlaut-Festival, es war mir eine Freude und Ehre, bei der Eröffnung mitzuwirken.» Svenja Flasspöhler

© Timon Furrer

«Es war wunderbar, Teil des Wortlaut Festivals zu sein und zu erleben, wie sich Menschen begeistern lassen für Texte, Gedanken, das gesprochene Wort.» Barbara Bleisch

© Timon Furrer

«Perfekt aufgegleist, deshalb – und dank rasanter Reorganisation des restlichen Teams – reibungslos über die Bühne gegangen. Es war uns eine Ehre, den Eröffnungsabend mit Hekto Super musikalisch zu begleiten. Und auch meine Lesung aus Carlas Scherben – wunderbar moderiert von Judith Zwick vor vollem Saal – war eine Freude. Herzlichen Dank Ariane, Diana, Rebecca, Karsten, Gallus und allen anderen für alles!» Frédéric Zwicker

© Sandra Kottonau

„Das Festival war super. Dass es in einer geöffneten, öffentlichen Biblothek stattfand, gab der Sache einen besonderen Charme. Vielen Dank für die super Organisition!“ Steven Wyss

© Philipp Neff

«Die Wortlautausgabe 2025 hatte ein sehr tolles Programm mit vielen guten wichtigen Frauenstimmen. Meinen eigenen Talk hab ich sehr genossen! Es war so erfrischend, voll inspirierend und ungeheuer ermutigend, mich mit den drei jungen Frauen Léa, Phoebe und Vera auszutauschen.» Lika Nüssli

© Timon Furrer

«Das Gespräch von meinen Maturandinnen Lara Hofstetter und Julia Mülli mit den american poets Jan Heller Levi und Jan Herman war berührend, tiefsinnig und von gegenseitigem Respekt getragen. Ich bin dankbar, dass ich es anregen durfte.» Florian Vetsch

© Sandra Kottonau

«Merci beaucoup pour l’invitation à St Gallen, c’était une joie de participer au festival!» Douna Loup

© Philipp Neff

«Dem ganzen Wortlaut-Team ein grosses Dankeschön für die Einladung und Möglichkeit, an diesem wunderbaren Literaturfestival eine Kurzlesung zu halten. Eine tolle Stimmung, anregende Gespräche und schöne literarische Momente. Ein grosses Merci.» Raphael Schweighauser

16. Wortlaut Literaturfestival St. Gallen

Das 16. Wortlaut Literaturfestival in St. Gallen vom 28. bis 30. März 2025

Wortlaut ist das literarische Frühjahrsereignis der Ostschweiz. 2025 wird es zum 16. Mal durchgeführt und findet vom 28. bis 30. März 2025 statt. Sämtliche Veranstaltungsorte wie Lokremise, Bibliothek Hauptpost und Grabenhalle sind fussläufig erreichbar und liegen bahnhofsnah. Ziel des Literaturfestivals ist es, die vielfältige Welt der Literatur einem breiten Publikum bekanntzumachen.

Wir alle schlagen uns herum mit Schreckensbildern, Katastrophenszenarien oder Zukunftsängsten. Übernimmt am Ende nicht ohnehin die Künstliche Intelligenz die Weltherrschaft? Es ist schwierig, in diesen Zeiten zu hoffen, wenn wir um unsere Demokratie und unsere Erde bangen müssen. Aber es soll nicht düster bleiben, im Gegenteil: Wir sind davon überzeugt, dass es sich lohnt zu «hoffen», auch wenn derzeit viele von uns «bangen». Und wo, wenn nicht in der Literatur, können wir diese Hoffnung finden?

Mit viel Freude laden wir Autor*innen nach St.Gallen ein, die sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Hoffen und Bangen auseinandersetzen. Wie gelingt es uns, als Gesellschaft wieder zusammenzurücken? Nur über gutes Streiten, davon ist die Philosophin Svenja Flasspöhler überzeugt. Gemeinsam mit Barbara Bleisch und der Band Hekto Super eröffnet sie das Wortlaut 2025.

Neben ganz wunderbaren Autor*innen, die am Samstag und Sonntag aus ihren Büchern lesen, setzen wir den Schwerpunkt genau darauf: auf Gespräche und den Austausch. Peter Stamm bekommt von uns die Carte blanche. Verleger*innen diskutieren über die Zukunft des Buches. Zwei Autorinnen aus zwei Generationen geben im Rahmen eines Werkstattgesprächs Einblicke in ihr Schaffen. Eine Uni-Seminargruppe und eine Gymnasialklasse bestreiten jeweils eine Veranstaltung mit Autor*innen, die sie selber eingeladen haben.

Mit Buslesungen und einem literarischen Stadtspaziergang wollen wir Ihnen eine Reise ermöglichen, die ausnahmsweise nicht nur im Geiste stattfindet.

Gemeinsam werden wir an diesem Wochenende gute Gründe finden, warum es trotz allem Anlass zur Hoffnung gibt.

Wortlaut ist zurück. Wir freuen uns auf Sie, liebes Publikum!

Infos zum Wortlaut

Christoph Keller «Blauer Sand», Limmat

Leo hat sich ausgeklinkt. Seit siebzehn Jahren haust und versteckt er sich in einem Bunker auf einer kleinen Insel in der Flensburger Förde an der deutsch-dänischen Grenze. Immer im Oktober sticht er aufs Festland, um seinen jährlichen Mord zu begehen. Er tötet jene, die der Welt Schaden zufügen.

Vorläufig blockieren die meisten nur Strassen oder demonstrieren sonst auf eine Art, Greenpeace schon seit Jahrzehnten. Aber wer weiss, zu welchen Massnahmen all die Verzweifelten greifen werden, wenn die Hoffnungslosigkeit die Massen ergreift, wenn aus Hoffnung- und Ratlosigkeit tödliche Radikalität wird?

Erstaunlich genug, dass die Menschheit die immer grösser werdende Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Dahinsiechenden und unsäglich Privilegierten so einfach hinnimmt, dass man den Versprechen und Beschwichtigungen der Mächtigen noch immer glaubt, die die Massen zu betäuben wissen, damit sie, die in Objektive Lächelnden, weiterhin auf der Sonnenseite des Lebens ihren Luxus geniessen können.

Leo hat sich einer Aufgabe verschrieben, auch wenn ihm klar ist, dass er mit seinen Morden höchstens Verunsicherung erreicht, persönliche Genugtuung, der „Tropfen auf dem heissen Stein“ gleich wieder verdampft. Ich werde mich von keinem Kraken in die Tiefe ziehen lassen. Ich bin der Krake.

Einzig halbwegs Verbündete ist die todkranke Liv, die auf der grösseren Insel gleich daneben, die mit Bikes über eine schmale Holzbrücke befahren werden kann, eine Imbissbude betreibt. Bei Liv gibt es die besten Hotdogs der Welt. Aber Liv hat ALS, eine unheilbare Nervenkrankheit, Muskelschwund, der irgendwann unausweichlich zum Erstickungstod führt. Aber so wie Leo eine Strategie für seinen Rachefeldzug eingerichtet hat, wird es Liv tun, wenn es soweit sein wird. Die Dynamitstangen sind bereit; ein kurzes Ende mit Schrecken.

Christoph Keller «Blauer Sand», Limmat, 2024, 208 Seiten, CHF ca. 32.00, ISBN 978-3-03926-077-5

Die Insel, auf der Leo sich seit Jahren versteckt, hat sich über die Jahre verändert, weil sich immer wieder Horden von Tagestouristen auf ihr breit machen, weil von dem einstmals rätselhaft blauen Sand nach den Posts eines Besuchers nichts geblieben ist.
Leo, der durchs Jahr das Leben eines Eremiten führt, der sich mehr oder weniger selbst versorgt, spürt aber nicht nur das drohende Ende Livs und die trampelnden Touristen auf der Insel. Dass etwas da ist, was bisher fern blieb; eine junge Frau auf der Suche nach dem Mörder ihres Vaters. Thea ist wie Leo auf einer Mission. Obwohl sie ihren Vater nicht mochte.

Es kommt zum Showdown auf der kleinen Insel, ein Showdown, der aber so gar nicht jene Wendung einnimmt, die die Protagonisten gleichermassen überrascht wie mich als Leser. Eine Begegnung, mit der Leo schon viel früher rechnete. Thea und Leo stehen sich gegenüber, so wie Leo seinen Opfern jeweils gegenübersteht. Es muss mehr sein als eine blosse Auslöschung, ein simpler Rachemord. So wie Liv in ihrer Hotdogbude mit einem lauten Knall von der Insel verschwinden will, so will Leo mit jedem seiner Morde ein Statement abgeben. Es müssen kleine Siege sein.
Wenn Leo einmal im Jahr in einem Flugzeug sitzt und sich in der Business Class einen Bourbon gönnt, hat er es wieder getan, jedes Jahr im Oktober. Wieder „einen Scheisskerl“ erledigt, von denen es auf der Welt genug gibt.

Leo sagt von sich selber, es sei nicht Rache, sein Motiv sei Schutz. Er sei der vernünftigste Mensch der Welt, einer, der die Typen ausschaltet, die am Ast sägen, auf dem wir alle sitzen.

Christoph Kellers Roman ist nicht blosse Versuchsanordnung. Wann wird aus Enttäuschung Radikalität? Kann man von einem eingeschlagenen Weg zurück, selbst auf einer Einbahnstrasse? Die Lektüre dieses Romans ist Auseinandersetzung. Nicht zuletzt die Literatur gewordene Reaktion eines Mannes, der seinen Zorn über die Gegenwart nicht verbergen kann. Ist das eine Töten amoralischer als das andere? Die Grenzen zwischen Heldentat und Verbrechen sind seit jeher fliessend und oft bloss Resultat einer eingenommenen Perspektive. Kellers Roman rüttelt auf und ist logische Konsequenz einer aus dem Ruder gelaufenen Gesellschaft. Womit sich Keller hier auseinandersetzt, wird über Kurz oder Lang Realität werden, wenn wir es nicht schaffen einer immer breiter werdenden Masse die Hoffnung zurückzugeben.

Ein wichtiges Buch!

Interview

Wir leben in einer Zeit, in der viele Leserinnen und Leser bei Büchern den Faktencheck machen. Ein Buch muss mit der Realität, mit dem Leben der Schreibenden fest verknüpft sein. Rein fiktionales Schreiben scheint regelrecht out zu sein. Dein Buch hat einen seltsamen Bezug zur Realtät, denn wir alle wissen, wie nah wir dem Szenario eines „Rächers“ gekommen sind, dass es wohl nicht mehr viel braucht, bis sich Klimaaktivist*innen noch ein paar Stufen mehr radikalisieren. Wie weit ist ein solcher Roman das Resultat Deiner eigenen Sorge, aber auch Deiner Wut? Ist das Buch Dein Versuch, Dich „zu retten“?
Diesen Kurs verdanke ich John Berger, der meinem Roman ein bisschen Pate stand. Ich kehre immer wieder zu seinen Essays zurück und wundere mich jedes Mal mehr: Wie kann einer ein so rigoroser Warner in der Wüste sein, aber nie zur Tat schreiten? Ein vergleichbares Gefühl packt einen ja auch beim täglichen Nachrichten hören. So viel Negatives, dass immer mehr nicht mehr ertragen, Burn-out kriegen oder sich ausklinken. So einer ist mein Leo Cavor, der sich ausgeklinkt hat, aber eben jedes Jahr im frühen Oktober loszieht, um jemanden zu eliminieren, der dem Planeten und der Menschheit enormen Schaden zufügt. Nur eben: Gewalt gebiert Gewalt. Ich würde das nicht tun. Ich bin ein Schreibtischtäter.

„Nichts ist schwieriger, als die Menschen zur Vernunft zu bringen, selbst wenn es um das eigene Überleben geht“, sagt Thea irgendwann zu Leo. Das wissen wir alle selbst. Wir konsumieren grenzenlos. Wir lenken uns strategisch ab von den tatsächlichen Problemen dieses Planeten und seiner Bewohner. Leo hat sich irgendwann entschieden, das scheinbar Unverrückbare nicht mehr einfach hinzunehmen. Auch Liv nimmt nicht einfach hin, wie die Krankheit sie tötet. Und Thea nimmt auch nicht bloss hin, auch wenn ihr Tun eine seltsame Wendung einnimmt. Wie weit glaubst Du, muss Literatur Stellung beziehen?
Das ist eine Paraphrase des berühmten Zitats von Bertrand Russell. Es ist schon schlimm zu sehen, wie die Menschen die Probleme ausblenden und weitermachen wie gehabt. Vor allem, wenn es um Reisen und Autos geht, setzt der Verstand aus. Nach mir die Sintflut, Tanz auf dem Vulkan. Ich kann mir keine andere Literatur vorstellen als eben jene, die zu den täglichen Schrecken Stellung bezieht. Das geht ja alles auf Tschechow zurück, der in «Onkel Wanja» den Arzt Astrow über das Abholzen der Wälder verzweifeln lässt. Das war visionär. Heute haben sich die Visionäre irgendwie erledigt, es ist ja alles offensichtlich, nur wollen wir es nicht wahrhaben. Mir hilft da die Fantasie – eine magische Insel zu schaffen oder einen sich mit jedem Schritt dehnenden Garten wie in «Der Boden unter den Füssen».

Wann ist Töten eine Heldentat?
Ach, im Krieg wohl. Wir befinden uns im Krieg – mit der Natur, die doch unser Verbündeter sein sollte. Aber eigentlich nie.

Jene kleine Insel in der Flensburger Förde, die Insel mit dem einstmals blauen Sand, ist Stellvertreterin für all jene Orte, die durch den Fokus der Öffentlichkeit zerstört werden, ein Fokus, der mitunter auch ganz uneigennützige und respektable Ursachen hatte. Aber kaum im Fokus ergisst sich eine Horde fotografierender und filmender Wilder über jene letzten Reste unberührter Natur und zerstören. In einer Zeit, in der man sich alles in die eigene Stube holen kann doch eigentlich seltsam. Ist es die Sucht, an etwas Besonderem teilhaben zu wollen?
Ja, das, und Rastlosigkeit. Der Mensch ist ein rastloses Wesen, muss immer in Bewegung sein. Aber weil wir immer mehr werden, stöhnt unser armer Planet auf. Da bin ich schon versucht, einen Zusammenhang mit den immer häufiger, immer stärker werdenden Unwettern zu sehen. Vielleicht will uns die Erde ja abschütteln. Kommt die Ironie dazu, dass unsere individuelle Sucht nach dem Besonderen immer mehr zum Massentourismus wird.

Leo ist nichts anderes als ein Umwelt- oder Klimaaktivist, wenn auch mit ganz radikalen Mitteln. Ich kann ihn durchaus verstehen. Und ich bin mir sicher, Du „spielst“ mit genau diesem Gefühl, diesem dauernden Kippen zwischen Moral und Schadenfreude. Das muss man aushalten können, wenn man Dein Buch liest. Wirst Du mit mahnenden Briefen zugedeckt? Gibt es Reaktionen?
Nein, keine einzige Postkarte. Vielleicht eben, weil man das Thema meiden will.

Am 4. Dezember erschoss ein 26jähiger einen Chef des Versicherers UnitedHealthcare mitten in New York und wurde nach seiner Festnahme von vielen im Netz als Held gefeiert. Werden so Attentäter zu Helden?
Genau davon erzählt ja mein Roman, habe ich als Erstes gedacht. Da schaltet einer den CEO einer wirklich üblen Krankenkasse aus. Eine Versicherung, die Ungezählte auf dem Gewissen hat, weil sie überall nur an Gewinnoptimierung denkt. Und der Mord wird auf Social Media gefeiert. Die USA sind, was Gewalt angeht, ein Pulverfass. Allzu viele stehen mit gezückten Streichhölzern bereit. Es wäre jetzt natürlich schön, mit meinem Serienmörder Leo Cavour davon zu träumen, das ein moralisch gerechtfertigter Mord – wenn es das denn gibt – das Leben Zahlloser rettet.

Christoph Keller, geboren 1963, ist der Autor zahlreicher Romane und Theaterstücke und eines Essaybandes. Sein bekanntestes Werk ist der Erinnerungsroman «Der beste Tänzer» (S. Fischer Verlag, 2003). «Jeder Krüppel ein Superheld» ist seit 2022 in Englisch (Penguin Random House UK, London) erhältlich. Keller, der auf Deutsch und Englisch schreibt und über zwanzig Jahre in New York verbracht hat, lebt mit der Lyrikerin Jan Heller Levi in St. Gallen. Sein Roman «Der Boden unter den Füssen» wurde mit dem Alemannischen Literaturpreis 2020 ausgezeichnet.

Christoph Keller «Jeder Krüppel ein Superheld», Limmat

Als ich Christoph Keller vor ein Vierteljahrhundert mit seinem dritten Roman «Ich hätte das Land gerne flach» nach Winterthur in ein Restaurant zu einem meiner «Literaturzirkel» einlud, kurvte er damals schon mit seinem Rollstuhl bis zum langen Tisch in der Ecke des Gasthauses. Christoph Keller kurvt noch immer; durch sein Leben, seine Auseinandersetzung mit seiner Einschränkung, sein literarisches Schaffen, das sich stets neu erfindet, wenn auch SMA, seine Krankheit, sein Leben und sein Schreiben durchsetzt.

Christoph Keller «Jeder Krüppel ein Superheld», Limmat, 2020, 220 Seiten, CHF 28.00, ISBN 978-3-03926-003-4

Christoph Keller sitzet mehr als ein halbes Leben lang im Rollstuhl. Zuerst war der Rollstuhl eine Art Rückversicherung, dann sein Begleiter, mittlerweile sein fahrbares Standbein. Christoph Keller war 14, als er die Diagnose SMA Spinale Muskelatrophie erhielt. Eine Krankheit, die in drei Typen auftritt und Christoph Keller trotz aller Einschränkungen eine „normale“ Lebenserwartung verspricht. Auch wenn der Autor zur „leichtesten“ Form von SMA verurteilt ist, SMA hört nie auf, schmerzt wohl nicht, aber hebt Muskelfunktionen auf. Aber kann man dann vom Glück von SMA Typus III sprechen. Wohl kaum und vielleicht doch. „Jeder Krüppel ist ein Superheld“ spricht genau davon.

Schon bemerkt?

Die Leute sagen nicht
mehr: sei will-
kommen. sie sagen: kein
problem.

früher waren wir
willkommen. jetzt
sind wir kein
problem.

Über Jahrzehnte pendelte Christoph Keller nicht nur geographisch zwischen zwei Welten, zusammen mit seiner Frau, der Dichterin Jan Heller Levi, zwischen New York und St. Gallen, den USA und der Schweiz. Er pendelt auch zwischen Zuständen; zwischen dem allmächtigen Erfinder und Sprachschöpfer und einem Menschen, dem die Bewegungsfreiheit am allerwenigsten durch seinen Rollstuhl genommen wird. Unsere Welt ist die Welt der „Normalen“, des Normalen. Dass das Nicht Normale, das Nicht Normierte keinen oder nur wenig Platz hat, das zeigt nicht nur die Tatsache, dass es im Parlament der Schweiz nur einen einzigen Parlamentarier gibt, der vergleichbar eingeschränkt ist (Ich muss schmunzeln beim Schreiben dieses einen Satzes!). Er pendelt zwischen Kampfansage und Versöhnung. Nicht der Versöhnung mit den Widrigkeiten der Umwelt, die das Leben eines Eingeschränkten noch multipliziert, sondern der Versöhnung mit sich selbst. Christoph Keller hadert nicht, strotzt dafür vor Tatendräng, schöpferischer Kraft und laut vernehmbarer Liebe. Jener zu seiner Frau, jener zu seiner Sprache, jener zu seinem Leben.

© Christoph Keller «Church St. & Worth St.»

„Jeder Krüppel ein Superheld“ ist weder Roman noch Sachbuch, keine Biographie und keine narzistische Selbstdarstellung. „Jeder Krüppel ein Superheld“, das „Krüppelbuch“, wie es der Autor selbst nennt, ist ein bunter Strauss an Texten und Bildern; Auseinandersetzungen mit sich und der Umwelt („Keines meiner Bücher hat mich so viel Kraft gekostet.“), ein „Rollgang durch sein Leben“, Begegnungen, Gedanken und Beobachtungen, Biographisches, eine „Wanzengeschichte“ über mehrere Kapitel, Gedichte, auch solche seiner Frau Jan Heller Levi und Fotografien. Fotographien von Pfützen in New York (Glunggenbilder), die eigentlich jene unüberwindbaren Zentimeter dokumentieren sollten, aber immer mehr zur Bildauseinandersetzung wurden. Fotografien, in denen sich New York in Pfützen spiegelt, jene unüberwindbaren Zentimeter gleich neben der Weite und protzigen Grösse der selbstbewussten Millionenmetropole.

Franz Kafka schrieb sich mit „Die Verwandlung“ ins kollektive Kulturbewusstsein. Gregor wird zum Käfer. Christoph Kellers Auseinandersetzung mit Kafkas Text resultiert vielleicht auch aus dem Gefühl, von Umgebung und Gesellschaft ebenfalls, wenn auch langsam, zum Käfer gemacht zu werden, einem hilflosen Etwas, das auf dem Rücken um sein Leben strampelt. „Jeder Krüppel ein Superheld“ tut bei der Lektüre dort weh, wo mir bewusst wird, mit wie viel Gedankenlosigkeit und Selbstverständlichkeit ich durch mein Leben torkle. Aber ich kann torkeln. Christoph Kellers Buch hat nichts von Wehleidigkeit, keine Spuren von Sentimentalität und schon gar nichts Voyeuristisches. Christoph Keller sprudelt, sprudelt erst recht, auch literarisch und schöpferisch, wenn in seiner Wanzengeschichte aus einem Menschenbauch nicht nur ein Kribbeln zu spüren ist, sondern Ameisen schlüpfen.

„Streif dein Kostüm über und roll, SMA-Man!“

@ Ayse Yavas

Christoph Keller (1963) ist der Autor zahlreicher Romane und Theaterstücke und eines Essaybandes. Sein bekanntestes Werk ist der Erinnerungsroman «Der beste Tänzer» (S. Fischer Verlag, 2003). Zusammen mit Heinrich Kuhn hat er drei Romane sowie die Kürzesterzählungen «Alles Übrige ergibt sich von selbst» (Keller+Kuhn, Edition Literatur Ostschweiz, St. Gallen, 2015) veröffentlicht. 2016 erschienen der Erzählband «A Worrisome State of Bliss: Manhattan Tales and Other Metamorphoses» (Birutjatio Press, Santiniketan, Indien, 2016) sowie «Das Steinauge & Galápagos. Ein Roman und sechs Erzählungen» (Isele, Eggingen, 2016). Keller, der auf Deutsch und Englisch schreibt und über zwanzig Jahre in New York verbracht hat, lebt mit der Lyrikerin Jan Heller Levi in St. Gallen. Zuletzt erschien im Limmat Verlag der Roman «Der Boden unter den Füssen», der mit dem Alemannischen Literaturpreis 2020 ausgezeichnet wurde.

Webseite des Autors

Beitragsbild @ Ayse Yavas

Literaturfest mit Christoph Keller and friends

«Drachenschuppen, Wolfsgebeiss, Hexengift und Vollgeschiss aus dem Bauch des Salzmeerhais, Schierlingswurzel dunkelweiss, von dem Lästerjud die Leber; Ziegengalle; Blütengeber, die man von den Bäumen riss, als der Mond in Finsternis, Türkennas, Tartarengrind und den Finger von dem Kind, das erwürgt wird bei Geburt von ner Frau, die strassenhurt – all das macht den Kessel fein, und mit Tiger-Innerein wird die Suppe bald fertig sein.»

Christoph Keller, zuhause in New York und St. Gallen
Christoph Keller, zuhause in New York und St. Gallen

Zwar war nicht Mitternacht und man traf sich auch nicht im Pilzkreis im Hätterenwald. Aber was am späten Nachmittag in der Militärkantine St. Gallen rund um den Schriftsteller Christoph Keller und seinen neuen Roman «Das Steinauge & Galapagos»  (Sammlung Isele) über die Bühne ging, war derart gestopft mit künstlerischen Leckerbissen von unterschiedlichem Giftgehalt, dass das Gemisch durchaus an einen wilden Tanz um die Kunst erinnerte. Christoph Kellers Gäste waren die Musiker Zelda Umur und Daniel Schnyder, die Schriftsteller Jan Heller Levi, Rebecca C. Schnyder, Heinrich Kuhn, Florian Vetsch und Peter Weber, der Verleger Parantrap Chakraborty und die Künstler Marlies Pekarek und Roman Signer.

Alle abgebildeten Fotografien sind Arbeiten Christoph Kellers "Mugwumps are what they seem."
Alle abgebildeten Fotografien sind Arbeiten Christoph Kellers «Mugwumps are what they seem.»

In Christoph Kellers Roman kämpft Philip Gundolf mit der latenten Mitschuld am frühen Tod seines Schulfreundes Stieglitz. Gundolf, der erfolglose Schauspieler, quartiert sich einen Sommer lang im Elternhaus seines Freundes ein, um der Frage nachzugehen, ob er am Ende gar nicht sein eigens Leben, sondern das seines verstorbenen Freundes gelebt hat.
Die Tatsache, dass der Roman aus dem Erinnerungsbuch «Der beste Tänzer» nicht mehr bei S. Fischer Platz fand, mag darin begründet sein, dass Christoph Keller nicht daran interessiert ist, einfache Bücher zu schreiben. Wem Christoph Kellers Roman gefallen soll, muss sich einlassen, muss bereit sein, von der wilden Suppe zu kosten!

Rebecca C. Schnyder mit "Alles ist besser in der Nacht" (Dörlemann)
Rebecca C. Schnyder mit «Alles ist besser in der Nacht» (Dörlemann)

Ein herrlicher Vorabend. Während draussen der Regen trommelte, der Wind die Fenster quietschen liess, führte Eva Bachmann gekonnt und überaus freundschaftlich durch den Kulturmix: Rebecca C. Schnyder, junge St. Galler Schriftstellerin las aus ihrem ersten Roman «Alles ist besser in der Nacht» (Dörlemann), böse Stücke, Texte wie schwere Motorräder mit Auspuffen, die knallen, Stücke aus ihrem Roman über eine junge Frau, die mit allem Tun schmerzen will, selbst mit ihren verkorksten Liebeserklärungen.

Heinrich Kuhn "Alles Übrige ergibt sich von selbst" (VGS Verlagsgenossenschaft)
Heinrich Kuhn «Alles Übrige ergibt sich von selbst» (VGS Verlagsgenossenschaft)

Heinrich Kuhn, ein St. Galler Literatur-Urgestein, der zusammen mit Christoph Keller etliche Romane schrieb, las Geschichten aus seinem wieder mit Christoph Keller veröffentlichten Erzählband «Alles Übrige ergibt sich von selbst» um die beiden Stadtflanierer Maag und Minetti. Witzige, hintersinnige Texte, die mit Sprache und Möglichkeiten spielen; über den Arzt Dr. Guillotine, ein Taubenexperiment und die Möglichkeit, dass Dr. Röntgen auch Dr. Wolgensinger hätte heissen können.

Florian Vetsch "Steinwürfe ins Lichtaug" (Moloko Print)
Florian Vetsch «Steinwürfe ins Lichtaug» (Moloko Print)

Florian Vetsch, Lyriker, Herausgeber und Übersetzer rezitierte messerscharfe Gedichte, Lyrik, die weh tun kann, weil sie trifft und betroffen macht, die Weltgeschehen spiegelt, Zeuge ist für Literatur, die sich einmischt, unbequem, mit der scharf geschossen wird, weit weg vom lieblichen Schmeicheln.

Peter Weber "Gotthardfantasien" Eine Blütenlese aus Wissenschaft und Literatur von Boris Previšic (Verlag Hier und Jetzt)
Peter Weber «Gotthardfantasien» Eine Blütenlese aus Wissenschaft und Literatur von Boris Previšic (Verlag Hier und Jetzt)

Und Peter Weber, nicht vergessen, auch wenn schon lange nichts mehr auf der grossen Bühne erschien, bewies mit seinen Texten, warum es sich weiterhin lohnt, geduldig auf ein neues Buch von ihm zu warten, auf Sprache, die sich mit Peter Webers Wucht hoffentlich nicht in allzu ferner Zukunft auf mich Neugierigen wartet. Peter Weber ist nicht nur Textschöpfer, sondern Wortbildner. Da wabbert Hochliteratur! Und dabei waren seine Kostproben in Maultrommelkunst wie Telegramme, Signalreihen aus jener fernen, fremden Welt, in der Weber zum Medium wird.

Man möge mir verzeihen, wenn ich nicht allen in Aktion Getretenen gerecht werde. Aber ich war Zeuge eines Kunst-Sommerfests der Superlative.

Literatursommerabend in St. Gallen

Am Sonntag, den 21. August steigt in der Militärkantine St. Gallen ein ganz besonderes Sommerfest, ein Literatur-Sommerfest. Ab 16 Uhr im Garten!

«WAR DAS EINE GAUDI IM HÄTTERENWALD!»
Im Hätterenwald schiesst es aus dem Gebüsch. Waidwund röhrt der Jäger vom Hochsitz herunter, Fuchs und Hase lachen sich ins Fäustchen. Was für eine Gaudi! Oder war doch alles ganz anders?

christoph_keller„Das Steinauge“ heisst der neue Roman, den Christoph Keller vorstellt. Und er lädt seine Freunde dazu ein: die Literaten Peter Weber, Heinrich Kuhn, Florian Vetsch, Rebecca C. Schnyder, Parantap Chakraborty und Jan Heller Levi, die Künstler Roman Signer und Marlies Pekarek und die Musiker Daniel Schnyder und Melda Umur.

Gelesen wird auf Deutsch, Englisch und Bengali, Texte kommen zu Wort und verbinden sich mit Musik, Bildern und Videos. Daraus wird ein sprühendes Sommerfest mit Künsten.

Eintritt Fr. 30.-/15.-
Die Platzzahl ist beschränkt, Reservationen unter kultur@militaerkantine.ch

Im Anschluss an das Programm: Ausklang beim Abendessen unter Kastanien. Reservation für Essen unter essen@militaerkantine.ch empfohlen!