Shūsaku Endō «Schweigen», Septime

«Schweigen» lag 1969 zum ersten Mal in Japan zum Verkauf. Als Shūsaku Endō den Roman damals geschrieben hatte, war er 46, in der «Mitte seines Lebens». Bei seinem Tod 1996 war Shūsaku Endō einer der wichtigsten Autoren Japans und «Schweigen» ein Roman über seinen eigenen Glaubenskonflikt, darüber, dass sich Glaube und Vernunft oft kaum vereinen lassen, schon gar nicht im Denken eines katholischen Japaners. Ein Buch um Glauben und Hinterfragen.

Seit März 2017 läuft Martn Scorsese’s Verfilmung des Romans «Schweigen» in den Kinos. Weil ich Martin Scorsese Filmschaffe schätze, hätte ich den Film mit Sicherheit geschaut. Weil ich die literarische Vorlage von Shūsaku Endō nicht kannte, gibt es noch einen Grund mehr, den Roman zu lesen, vor oder nach dem Gang ins Kino.

Im Jahrhundert vor den Geschehnissen, die der Roman beschreibt, schien Japan, das Land am Ende der Welt, für die europäischen Missionare aus dem 16. Jahrhundert das Paradies zu sein und förmlich auf den «wahren» Glauben gewartet zu haben. Innert weniger Jahrzehnte zählte man Hunderttausende zum Christentum bekehrte Japaner. Es entstanden Schulen, Waisenhäuser und Ausbildungsstätten für Priester. Aber als im 17. Jahrhundert die japanische Monarchie und Oberschicht wieder erstarkte und sich gegen «fremde» Einflüsse abzuschotten begann, empfand die japanische Oberschicht den Zangengriff von spanisch-portugiesischen Katholiken und englisch- holländischen Protestanten immer stärker als abtötenden Eingriff in die eigene Kultur, in ihr buddhistisches Selbstverständnis. Drangsaliert vom eigenen Feudalsystem und der Strenge des Staatsapparates, den Steuern und dem grassierenden Misstrauen von Dorf zu Dorf schien ein Evangelium der Liebe und der Barmherzigkeit Grund genug, dass sich die neue Religion wie Wasser ausbreitete. Buddhistische Mönsche aber waren Verbündete derer, die die Bauern wie Rinder ausnutzten.

Der katholische Glaube, den der portugiesische Padre Sebastião Rodrigues im 17. Jahrhundert nach Japan bringen wollte, blieb aber eine Religion «ab der Stange», weit weg von der japanischen Kultur und Tradition.

Das Spezielle an Shūsaku Endōs Roman «Schweigen» ist neben seinem beschriebenen Kampf zwischen Glaube und Vernunft, die Perspektive, die der Autor wählte, um den Konflikt, den Endō beschreibt, noch zu vertiefen. Shūsaku Endō schildert nicht aus der Sicht eines Japaners, sondern über weite Strecken aus der des portugiesischen Padres. Sebastião Rodrigues tritt seine lange, nie endende Reise von Portugal nach Japan an, weil er nicht glauben kann, dass sein ehemaliger charismatischer Lehrer Padre Ferreira seinen Glauben in Japan verworfen habe. Am 25. März 1638 sticht sein Schiff mit drei portugiesischen Priestern an Bord in See. Schon die Schiffsreise bis zu ihrem ersten Ziel Goa an der Westküste Indiens ist aus heutiger Sicht ein Märtyrium der Entbehrung: Hunger, Durst, Seuche, Tod, Lebensgefahr und permanente Ungewissheit – all das, was in den folgenden Jahren zu ständigen Begleitern der Missionare in der Fremde werden sollte. Padre Rodrigues beschreibt in Briefen seine Reise und in einer Art Bericht sein Wirken auf Japan, das unter dem Gouverneur Inoue, dem Fürsten von Chikugo, der sich einst selbst taufen liess, durch Drohung und Folterung in seinem Land dem fremden Glauben mit aller Härte den Garaus machen will. Padre Rodrigues findet seinen einstigen Lehrer Padre Ferreira. Es kommt zu mehrmaligen Treffen, die der Inoue geschickt zu inszenieren versteht. Treffen, die den jungen Padre Rodrigues immer tiefer in eine Krise stürzen lassen.

Das Grauen vor Gottes Schweigen

Warum ein solches Buch lesen, das von Geschehnissen aus dem 17. Jahrhundert berichtet? Weil wir in einer Welt leben, die nicht weniger gespalten ist zwischen Glaube und Vernunft. Weil es in diesem Roman um das Fremdsein geht, das sich auch heute, angesicht der Migrationsströme, förmlich aufdrängt. Weil die Wahrheit hier nicht die Wahrheit dort ist. Eine Erkenntnis, die mit den globalen Bemühungen der Kirche, ihre Religion in die ganze Welt hinaustragen zu wollen schon im 16. Jahrhundert fatal war. Weil Abschottung, Verfolgung, Folter, Gewalt gegen Fremde Themen sind, die sich heute erst recht aufdrängen, Feigheit im Angesicht aller Ungerechtigkeit.

Shūsaku Endō erzählt von seinem eigenen inneren Konflikt. Von der Verzweiflung darüber, dass «sein» Gott angesichts aller Gewalt schweigt.
(1923–1996) studierte französische Literatur in Japan und katholische Literatur in Frankreich. Er gilt in Japan als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller und erhielt u. a. den »Akutagawa-Preis«, den wichtigsten japanischen Literaturpreis. Seine Hauptwerke sind die Romane Schweigen, Samurai und Skandal. Letzteres erscheint 2017 ebenfalls bei Septime.

Titelbild: Sandra Kottonau