Lesen Sie Gedichte? Romane wollen gelesen, manche «gefressen» werden. Gedichtbände dürfen liegen bleiben, lange liegen bleiben, begleiten einem auf kleinen Wegstrecken, mischen sich ein, mischen mich manchmal auf. Michael Krügers Gedichte tun genau das Gegenteil von dem, was eine Gratiszeitung morgens im übervollen Zug macht. Sie trösten mich, sie umarmen mich, sie wärmen mich – sie tun mir gut!
«Gedichte sind misstrauisch,
sie behalten für sich, was gesagt werden muss.
Sie gehen durch geschlossene Türen
ins Freie und reden mit den Steinen.
Sie führen uns fort…»
Eine Reise einfach. So wie das Leben selbst. Nie ein Zurück, bloss Richtungsänderungen. Reisen in Deutschland oder weit weg, ans Meer, nach Italien, nach Mazedonien, Griechenland. Reisen in die Nähe, in Parks in München, die Landstriche um die Stadt. Spaziergänge in den Garten, unter den Baum, eine sonnenwarme Wand. Reisen ins Unmittelbare, ganz nah zu allem, was lebt und sich zeigt. Auch eine Reise in sich, den alt gewordenen Mann, der zurückschaut, manchmal mahnt, hofft, oft sinniert und noch so kleine, unscheinbare Begegnungen zu Offenbarungen werden lässt.
Keine Antworten, keine einfachen Einsichten. Vielleicht ist es das, was ich an Gedichten mag. Die klaren Sätze, die eingängigen Bilder, die Düfte und den weiten Himmel – und überall das Wissen, dass hinter jedem und allem noch viel mehr ist. Gedichte sind ein ewiges Versuchen. Und Michael Krüger will mit seiner Lyrik gar nicht mehr.
Einmal einfach
Es ist schön, mit dem Zug
durch Deutschland zu fahren,
immer zu spät.
Du hast es nicht eilig.
Schrebergärten kriechen
um die Städte herum
wie Schnecken.
Am Ende des Lebens
wird dir ein Tag geschenkt,
den darfst du verpassen
am Bahnhofsbuffet
zusammen mit Tauben und Spatzen.
Michael Krüger geht zurück ans Nahe, dort hin, woher er kommt, zum Haus seiner Kindheit, in den Garten seiner Grossmutter. Aber auch weit weg, um herauszufinden, dass sich alles reduziert und doch nicht einfach wird. Er betrachtet im Kleinen das Grosse; den Kohlweissling in Skopje.
Jedes Gedicht ein Geschenk. Jedes für sich ein Geheimnis. Als gäbe jeder Augenblick des Lebens neues Licht auf das, was hängen bleibt.
Michael Krüger wurde am 9. Dezember 1943 in Wittgendorf/Kreis Zeitz geboren. Nach dem Abitur an einem Berliner Gymnasium absolvierte er eine Verlagsbuchhändler- und Buchdruckerlehre. Daneben besuchte er Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät als Gasthörer an der Freien Universität Berlin. In den Jahren von 1962-1965 lebte Michael Krüger als Buchhändler in London. 1966 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker. Zwei Jahre später, 1968, übernahm er die Aufgabe des Verlagslektors im Carl Hanser Verlag, dessen Leitung er im Jahre 1986 übernommen hat. Seit 1981 ist er Herausgeber der Literaturzeitschrift Akzente.
Im Jahr 1972 veröffentlichte Michael Krüger erstmals seine Gedichte, und 1984 debütierte er als Erzähler mit dem Band «Was tun? Eine altmodische Geschichte». Es folgten weitere zahlreiche Erzählbände, Romane, Editionen und Übersetzungen.
Michael Krüger lebt in München.