Die König in der Jury #SchweizerBuchpreis 21/7

Annette König studierte an der Universität Zürich Germanistik, Politologie und Neue Geschichte. 2013 doktorierte sie an der Uni Basel in Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Seit 2013 arbeitet sie als Literatur-Redaktorin bei SRF.

Du bist eine unermüdliche Kämpferin für das gute Buch, arbeitest bei SRF als Literaturkritikerin und führst unter diebuchkoenigbloggt.ch eine Webseite, auf der du pointiert deine Meinung zur aktuellen Literatur formulierst. Nehmen Bücher so viel Platz in deinem Leben ein, dass anderes als Nebensache droht?
Ich versuche so zu leben, dass nichts zur Nebensache wird, was mir wichtig ist.

Man sieht dich immer wieder an Literaturfestivals, sehr oft sogar mit deiner Familie. Was bedeuten dir solche Veranstaltungen, zumal solche ja wie viele andere Veranstaltungen und die ganze Kulturszene arg zu leiden hatten?
Es sind für mich Orte der Begegnungen und der Inspiration. Auch liebe ich es, wenn an einer Lesung eine Energie freigesetzt wird, die sich auf das Publikum überträgt und dieses verbindet. Unvergesslich ist mir die ergreifende Lesung von Adonis am Internationalen Literaturfestival in Leukerbad. Da haben die Leute geweint.

Nun sitzt du schon zum zweiten Mal in Jury des Schweizer Buchpreises. Ein fünfköpfiges Gremium soll aus fast 100 eingesandten Büchern das beste aussuchen. Was bedeutet das für dich? 100 Bücher lesen?
Für mich bedeutet das viel Arbeit, aber auch grosse Freude, Texte entdecken zu dürfen und in der Interaktion mit den Jurymitgliedern meine literaturkritischen Methoden zu reflektieren und zu schärfen. Das ist wertvoll und bereichernd.

Die Jury setzt sich aus ganz verschiedenen Akteur:innen innerhalb der Buch- und Literaturszene zusammen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Diskussionen über das Gewicht eines Buches sehr kontrovers und heftig werden können. Kann man dann einfach so die Segel einholen, wenn man bei einem „Lieblingsbuch“ bei der Mehrheit der Jury auf taube Ohren stösst?
Ich bin eine Kämpferin, die bis zur letzten Minute der Jurysitzung für meine Favoriten einsteht. Und ja, manchmal muss man sich danach die Wunden lecken, wenn man auf taube Ohren gestossen ist. Aber Lieblingsbücher sind eine Herzensangelegenheit und Herzensangelegenheiten sind als solche nicht demokratisch. Und der Entscheid der Jury ist ein demokratischer. Das sind die Spielregeln.

Ist es nicht schwierig, bei Autor:innen, die ein grosses Werk schuffen und schon lange in der Literaturszene grosse Bedeutung haben, nur das aktuelle Buch zu sehen?
Nein. Jedes Buch nehme ich als eigenständigen Kosmos war. Ich tauche ein und entwickle eine Haltung dazu.

Gab es 2020 nach der Bekanntgabe der Shortlist, jener fünf Bücher, die in die Endausscheidung aufgenommen wurden, Reaktion an dich direkt? Reaktionen, bei denen du dich rechtfertigen musstest?
Ja, es gab Reaktionen im Sinne von: mutiger Entscheid, guter Entscheid.

Gemessen am Medieninteresse ist das Preisgeld des Schweizer Buchpreises mit Sicherheit nicht üppig, wenn man weiss, dass nur ganz wenige Schreibende vom Verkauf ihrer Bücher leben können. Was glaubst du, warum es für grosse Firmen schlicht zu wenig attraktiv ist, für Literatur ihr Banner aufzuspannen?
Ist das so? Vielleicht liegen die Gründe im System. Die Schweizer Kulturförderung ist in meiner Wahrnehmung relativ breit aufgestellt. Man denke an die vielen Förderausschüsse, Kulturstiftungen, Preisgeber und Sponsoringpartner. Mäzenatentum ist zwar wichtig, aber steht nicht im Vordergrund. Klar könnten sich da grosse Firmen vermehrt engagieren. Aber solche Literaturförderung ist auch stark von wirtschaftlichen Faktoren abhängig. Und da habe ich gewisse Vorbehalte. Denn Kunst sollte in erster Linie frei sein.

Bücher suchen nach Leser:innen. Manchen Büchern scheinen die Leser:innen einfach so zuzufallen. Da genügt schon der Name auf dem Buchcover. Gibt es ein aktuelles Buch, dem du gerne eine leidenschaftliche Stimme geben würdest, weil es nicht die ihm zustehende Aufmerksamkeit bekommt?
Es gibt Bücher, die bekommen Aufmerksamkeit, aber gehen ohne Literaturpreis aus. Zum Beispiel gibt es da einen Roman, der den Coming-of-Age-Kultfilm der 80er Jahre decodiert und in hervorragende Unterhaltungsliteratur verwandelt. Ich fühle mich an die Schwelle des Erwachsenwerdens versetzt und erlebe nochmals die Schwere und das Schwebende dieser Zeit. Den Weltschmerz, die Einsamkeit, die Ausgelassenheit und dieses Gefühl die Welt rocken zu können. Ich meine damit «Hard Land» von Benedict Wells und immer wenn ich davon spreche höre ich Don’t you forget about me von Simple Minds in meinem Kopf.
Und dann gibt es auch Bücher, die viel mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten, auch wenn der/die Autorin mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Hier denke ich an die Romane «Aufbrechen» und «Überleben» der Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga aus Simbabwe.

Hand aufs Herz: Was macht eine Vielleserin mit all ihren Büchern? Irgendwann sind die Regal voll!
Öffentliche Bücherschränke zum Bersten bringen!

Beitragsbild © Annette König/SRF