Liebesgedichte nur für Verliebte? Abenteuergeschichten für DraufgängerInnen? Philosophische Essays für Nachdenkliche? Dystopien für hoffnungslose Optimisten? Kinderbücher bloss für Kinder? Der einzige Grund, den Bücher in Sparten zu unterteilen sinnvoll macht, sind Ordnungssysteme, solche in Bibliotheken und Buchhandlungen. Kinderbücher aber nur der Lektüre von Kindern zuzuteilen, wird Kinderbüchern nicht gerecht. Erst recht dann, wenn Christoph Hein eines schreibt.
Sind sie erst vor kurzem umgezogen? Oder für vier Wochen in den Urlaub gefahren? In solchen Situationen stellt man sich die Frage, was es denn unbedingt braucht, um zu «überleben». Worauf kann man auf keinen Fall verzichten? Was braucht meine Existenz, um mich selbst zu bleiben? Meistens wenig. Und meistens sind es nicht die Dinge, mit denen man sich im Konsumrausch aus lauter Langeweile oder weil es notwendig wäre, eindeckt. Erst recht, wenn man die materiellen Dinge ausser Acht lässt und die Frage stellt: Was ist wirklich wichtig?
Kinder beantworten diese Fragen anders. Und wenn sich Erwachsene mit Hilfe von Imagination, Erinnerung in ihre Kindheit zurückdenken, dann färben sich Antworten noch einmal ganz anders. SchriftstellerInnen sind Meister darin, sich in ein «fremdes» Lebensgefühl zu versetzen. Sie versetzen sich nicht nur in eine andere Zeit, eine ihnen fremde Welt, in ein konstruiertes Gefüge, in die Seele eines Menschen. Christoph Hein taucht in seinem dritten Kinderbuch in die Gedankenwelt eines Kindes, mit viel Erinnerung gefüllt, spürbar darin, weil all die elektronischen Gatgets aussenvor bleiben.
Die kindliche Erzählstimme muss für ein paar Wochen ins Spital. Und weil Eltern und Kind aus lauter Sorge versprechen, das auf nichts verzichtet werden muss, füllen sich die Koffer. Im Spital aber wird schnell klar, dass sich die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nicht in einen Koffer packen lassen. Und so erzählt die Stimme von «allem, was du im Leben brauchst»: Freundschaft, eine Mama, Hoppelpoppel, Geschichten, etwas Weiches, ein Familie… Zwanzig Kapitel, die mich als Leser, auch mit 57 Jahren zum Denken anregen, die mich fragen lassen, was denn bei mir die Dinge sind, auf die ich nie verzichten möchte, die mein Leben bedeuten, die sich nicht in Koffer packen lassen.
Christoph Hein erzählt mit derart viel Liebenswürdigkeit von den kleinen grossen Dingen des Lebens, dass meine Ungeduld auf jenen Moment wächst, der mir die Gelegenheiten schenkt, meinen Enkelinnen und Enkeln von dem zu erzählen, was man wirklich braucht, mit den Bildern von Rotraut Susanne Berner. Und für all jene, die noch auf die übernächste Generation warten; «Alles, was du brauchst» kann auch auf dem stillen Örtchen jene Zeit erhellen, die sonst nur erleichtert.
Christoph Hein, 1944 in Schlesien geboren, studierte Philosophie und Logik in Berlin. Er arbeitet als Schriftsteller, Dramatiker, Übersetzer und Essayist. Für seine Theaterstücke, Erzählungen und Romane wurde er vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis. «Alles, was du brauchst» ist sein erstes Kinderbuch bei Hanser.
Rotraut Susanne Berner, 1948 in Stuttgart geboren, studierte Grafikdesign in München und ist seit 1977 freie Buchgestalterin, Illustratorin und Autorin. Für ihre rund 50 Bilder- und Kinderbücher wurde sie zuletzt mit dem Sonderpreis zum Deutschen Jugendliteraturpreis für ihr Gesamtwerk, dem Großen Preis der Deutschen Akademie in Volkach und dem Hans Christian Andersen-Preis ausgezeichnet. Für den Astrid Lindgren Memorial Award wurde sie mehrfach nominiert.