„Dürrst“ ist eine gnadenlose Achterbahnfahrt eines aufstrebenden Künstlers zwischen euphorischen Höhenflügen, ekstatischer Arbeit und trostloser Abstürze in die Tiefen psychischer Abgründe. Alles an diesem Leben ist Auseinandersetzung. Auch die Lektüre dieses Romans!
Je nach Lebenssituation ist der Blick in eine andere Richtung gerichtet. Bei den einen zurück, bei den andern in die Zukunft. Dürrsts Blick geht nur nach vorne, auch wenn es sich nur schwer erschliesst, was sich im Nebel der Zukunft abzeichnet. Was Vergangenheit ist und war, stösst er ab, wie die Eidechse ihren Schwanz. Was nachwächst, ist nur mehr rudimentär und hilft gerade noch so, um im Tempo des Lebens das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Ein Elternhaus, das nicht verstehen will, Mutter und Vater, die an die Macht des Geldes glauben, jene Macht, die sie selber stets auf der Welle des Erfolg reiten liess. Dürrst weiss, dass er nicht nach dem Rhythmus seiner Eltern tickt, dass er anders ist, dass sein Schwulsein keine Laune der Natur ist, dass sich sein Wunsch, als Künstler etwas erschaffen zu wollen, genauso wenig einer Laune der Natur zuordnen lässt. Dass sein Leben sich nicht nach Kompromissen richten soll. Dass alles Risiko ist.
Dürrst ist nicht zu fassen. Auch für seine Freunde nicht, seinen Freund. Ein permanent unter Druck stehendes Leben, dass sich kaum zwischen seinen Extremen einpendeln lässt. Einmal wird er als zukünftiger Star von seiner Galeristin gefeiert, ein andermal lässt er sich freiwillig von einem Mantel an Medikamenten zudecken, weil es die einzige Möglichkeit ist, zur Ruhe zu kommen. Manchmal bricht er aus, manchmal bricht er ein.
Einmal wirbelt er wie ein Derwisch durch die wilden Parties der Stadt, verliert sich im Arbeitswahn, in den Ideen zu seiner Kunst. Ein andermal sackt er ab in die Untiefen menschlichen Verlorenseins, vegetiert, ergibt sich der Maschinerie, die hinter verschlossenen Kliniktüren das Zepter in die Hand nimmt.
Eigentlich will Dürrst nur leben, will sein, was er ist, was er in hellen Zeiten seines Lebens als treibende Kraft in sich spürt. Aber weil sein Leben zu einer permanenten Demonstration gegen alles Biedere und „Bünzlihafte“ wird, ist alles Kampf. Ein Kampf der Abnützung, des Anrennens, des Verschleisses. Ich möchte Dürrst beim Lesen an der Hand nehmen, möchte ihn drosseln, weil ich die drohenden Katastrophen erahne.
Simon Froehlings zweiter Roman nach „Lange Nächte Tag“ ist eine buchgewordene Performance, der Schrei einer Generation, die alle Muster ablegen will, die nicht bereit ist, sich all jenen Zwängen zu beugen, die die Generationen zuvor als Selbstverständlichkeit hinnahmen. Aber vielleicht ist „Dürrst“ auch das Manifest einer Generation, die angesichts der Fülle an Eingebrocktem einfach nur die Nase voll hat.
Simon Froehling macht es mir nicht einfach. Sein Roman ist keine Geschichte zur Erbauung, sondern der Schrei von Verlorenen. Auf dem Klappentext steht: „Froehling erzählt den Weg einer brutal schmerzhaften Selbstfindung in Bildern stupender Schönheit.“ „Dürrst» ist nicht Selbstfindung, sondern das unendliche Suchen.
Simon Froehling wurde 1978 geboren, ist schweizerisch-australischer Doppelstaatsbürger und lebt in Zürich. Anfang der Nullerjahre machte er sich hauptsächlich als Lyriker und Dramatiker einen Namen – mit über einem Dutzend Theaterstücken und Hörspielen, die in der Schweiz, Deutschland und Österreich uraufgeführt oder gesendet wurden. Sein erster Roman «Lange Nächte Tag» erschien 2010 im Bilgerverlag. Für sein Werk wurde er mit diversen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Publikumspreis der St. Galler Autorentage, dem Dramatikerpreis der Schweizerischen Autorengesellschaft, einem Heinz-Weder-Anerkennungspreis für Lyrik und dem Network-Kulturpreis der schwulen Führungskräfte. Simon Froehling ist Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel/Bienne. Neben seiner Tätigkeit als freier Autor und Übersetzer arbeitet er am Tanzhaus Zürich als Dramaturg und Kommunikator.