Das Loch
Im Zentrum klafft ein weites Loch. Trockener Staub brennt in meinen Augen, wenn ich an der riesigen Baustelle vorbeiradle. Männer, vorwiegend älteren Semesters, stehen am Absperrgitter und schauen ins Treiben auf dem Grund dessen, was einmal ein neues Einkaufszentrum werden soll. Die Männer am Absperrgitter erinnern mich an Ausgesperrte, von der Arbeit Verbannte. Da drinnen, in diesem Geviert aus Maschinen, Helmen, Staub und Erde findet das echte Leben statt, von dem man sie mit der Pensionierung abgeschnitten hatte. An der Grenze zur Strasse ist die Baustelle durch einen Kunststoffsichtschutz abgedeckt. Ein langes, weisses Band, noch fast jungfräulich und unbefleckt, das ergeben auf seine Bekritzelung und Besprayung wartet. Und manchmal sehe ich einzelne Fussgänger, letzthin einen alten Mann, nicht mehr gut zu Fuss, der sich tapfer und unbeirrt dem weissen Band entlang fast mitten auf der Strasse Richtung Kirche bewegte. Auf der anderen Seite wäre das Trottoir mehr als breit genug gewesen, auf seiner Seite aufgehoben, weil die Baustelle Platz braucht. Da schlurfte er, langsam und beharrlich. Bis zur Kreuzung waren es schon ein paar Autos, die im Schritttempo hinter ihm herrollten. Keiner hupte. Vielleicht aus Angst, den alten Mann zu Tode zu erschrecken. Wahrscheinlich war der alte Mann schon immer auf der rechten Seite Richtung Kirche gegangen. Das war seine Seite. Von einem Loch, auch von einem riesigen, klaffenden Loch liess er sich nicht vertreiben. Ein schönes Bild für manch eine politische und gesellschaftliche Situation, in der wir uns befinden.
Gallus Frei-Tomic