Charles Linsmayer veröffentlichte mit seinem gewichtigen Lesebuch «20/21 Synchron» nicht nur einen persönlichen Überblick über die Schweizer Literatur der letzten hundert Jahre, sondern mit jeder von ihm verfassten Kurzbiographie eine Liebeserklärung an die Literatur der jeweiligen Dichterinnen und Dichter!
Im Gespräch zwischen Moderator Peter Surber und Charles Linsmayer konnte sich der Fragende die Bemerkung nicht verkneifen, warum denn so gewichtigen Stimmen aus der Gegend wie jene von Zsuszanna Gahse, Michelle Minelli oder Christian Uetz der Eingang zu diesem Buch verwehrt blieb. Charles Linsmayers sympathischer Erklärungsversuch bewies wie all sein Tun seinen Respekt vor der grossen Vielfalt der hiesigen Literaturszene. Hätte er all jene in den Band mitgenommen, die es verdient hätten, wäre aus dem Band ein Koloss geworden. Seine Auswahl war eine subjektive Wertung, aber niemals ein Ausschliessen. So wichtig es ihm war, Stimmen aus dem Vergessen zu tragen, so wichtig war ihm die Viersprachigkeit, selbst sie Ausgewogenheit der Geschlechter («Das muss heute ja so sein.»).
«Es gab schon Veranstaltungen zu meinem Buch «20/21 Synchron» in Bern, Basel, Zürich und St. Gallen. Aber so geglückt wie der Abend im heimeligen Dachgeschoss des Literaturhauses Thurgau war keine von ihnen. Es stimmte einfach alles: die mit Emphase vorgetragenen Beiträge von Silvia Tschui und Klaus Merz, die zu ihren eigenen Texten noch je einen von Raphael Urweider und Helen Meier gestellt und gelesen haben. Die musikalische Begleitung durch den Gitarristen Philipp Schaufelberger und die Lieder, die Silvia Tschui aus ihrem Text herauszauberte und zur Freude des Publikums gekonnt und mit Verve vortrug, und nicht zuletzt das Gespräch, das Peter Surber als Moderator mit mir führte und das mir Gelegenheit gab, meiner eigenen Freude über das geglückte Buch und die Aufnahme durch die beteiligten Autorinnen und Autoren Ausdruck zu geben. Auch das Publikum, das den Saal bis zum letzten Platz füllte, schien in die schöne Bewegung, die das Buch unter den Anwesenden auslöste, mit einbezogen zu sein, und am schönsten für mich war wohl Gallus Freis Erklärung in seiner Begrüssung, dass man das Gefühl, das mich mit der Schweizer Literatur verbinde, Liebe nennen müsse. Der Abend vom 10.März 2022 in Gottlieben wird mir jedenfalls für immer in schöner und dankbarer Erinnerung bleiben.» Charles Linsmayer
«20/21 Synchron» ist kein Kanon der Schweizer Literatur des 20. Jahrhunderts. Charles Linsmayer, der als Autor und Herausgeber von mehr als 120 Buchveröffentlichungen über die Jahrzehnte ein Leuchtturm in der Schweizer Literaturszene wurde, wählte für diesen 40. Band der Reihe «Reprinted by Huber» seine ganz persönlichen Favoriten, all jenen, denen er in seinen unzähligen Begegnungen, seien sie nun persönlich oder schriftlich, nahe gekommen war.
Und nicht zuletzt ist «20/21 Synchron» ein Gegenentwurf zur «um sich greifender Lesemüdigkeit und dunkler Prognosen vom Ende des Buchzeitalters und dem Heraufziehen einer digital unterfütterten Jekami-Unterhaltungskultur». Nicht nur Charles Linsmayer, auch Silvia Tschui und Klaus Merz vermochten im Gespräch ihre pessimistische Sicht auf die Zukunft des Buches nicht zu verbergen. Der beinahe volle Veranstaltungssaal des Literaturhauses an diesem Abend konnte das bisschen nötige Hoffnung nicht wecken, denn junges Publikum ist rar.
Besonders beeindruckend war «Oben», der Text von Helen Meier, der grossen Dichterin, die im Februar 2021 ganz still und leise aus dem Leben schied, die mit ihren Erzählungen und Romanen eine ganz Grosse der Schweizer Literatur wurde und mit der Charles Linsmayer in den letzten zehn Jahren ihres Lebens eine tiefe Freundschaft verband. Mit der Stimme von Klaus Merz hörte man ihr beim Schreiben zu.
Wie sehr Charles Linsmayer seine Liebe zur Literatur mit sich trägt, wurde an einer Lesung aus seinem Lesebuch in St. Gallen zusammen mit Ilma Rakusa sichtbar, als der Herausgeber mit den Tränen zu kämpfen hatte. Nicht nur weil ihn der Text berührte, sondern die Intensität der Sprache und die vollendete Komposition der Geschichte.
«Wie schön der gestrige Abend zur Feier von Charles Linsmayers überwältigendem Werk «20/21 Synchron» im schönen Gottlieben doch war! Ein neugieriges, offenes Publikum, und ein Veranstalter, der sich auf Experimente einlässt. Man kann sich mehr nicht wünschen. Danke!» Silvia Tschui
Silvia Tschui wird zusammen mit dem Musiker Philipp Schaufelberger das traditionelle Sommerfest in und ums Literaturhaus Thurgau am 20. August 2022 mitgestalten. Reservieren Sie sich den Termin!
Beitragsbilder @ Philipp Frei