Über tausend Brücken nach Saigon

Erste Etappe unserer Heimreise. Diesmal nicht wie bei der Hinreise mit dem „Schlafbus“ nachts, jetzt mit Fensterplatz in einem gecharterten Bus, dem man in Europa mit Sicherheit keine Fahrerlaubnis mehr geben würde.

Mag sein, dass Klimaanlage und Motor noch einwandfrei laufen. Aber bei jeder Bodenwelle, von denen es unzählige und heftige gibt, knarzt die Aufhängung, als ob die Achse direkt am Rumpf befestigt wäre. Südvietnam ist ein Land der tausend Brücken. Unzählige Kanäle durchschneiden das Land. Bei kleineren Brücken scheint es, als hätte man eine Betonplatte darüber gelegt und eine Asphaltschicht darauf , mit einer „Rampe“ davor und danach. Jedes Mal muss der Chauffeur bis auf Schritttempo drosseln, damit das schwerfällige Gefährt nicht einknickt.
Für die 300 Kilometer braucht unser Bus mit zwei Stopps mehr als acht Stunden. Dafür sind nicht bloss Brücken und Stossdämpfer verantwortlich. Obwohl die Strassen viel besser sind als ganz im Süden, wo unser Bustaxi zum Teil im Schritttempo über ganze Felder von Schlaglöchern und wassergefüllten Untiefen schaukeln musste, sondern die Verkehrssituation und das Bedürfnis nach Toiletten.
Bei zwei Fahrspuren in einer Richtung gehört die linke ganz aussen den unzähligen Motorrädern, auf den manchmal auch eine vierköpfige Familie mit Hund fährt. Die Spur rechts dem Rest, den noch schnelleren Schlafbussen, den klapprigen Lastwagen, all den grossen und kleinen Taxis und all den „Normalen“. Öffentlichen Verkehr, staatlich organisiert und finanziert, gibt es nicht. Die eine, einspurige Eisenbahnlinie, die aber in Saigon endet! Wer in Vietnam reist, nimmt den Fernbus, wer sich sonst fortbewegt, ein motorisiertes Vehikel. Fahrräder sieht man kaum noch, Fussgänger schon gar nicht.
Einen der Stopps machen wir an einer Busraststätte. Bus an Bus parkiert vor einer riesigen Halle, in der man essen, sich erleichtern und immer auch ein bisschen shoppen kann. Eigentliche Fressmaschinen. Nicht anders als auf Schweizer Autobahnraststätten. Nur die Färbung ist eine ungewohnte.

Weiter geht die Reise. Vom Süden des Südens, der ganz der Fisch- und Meeresfrüchtezucht gehört gen Norden durch ausgedehnte Reisfelder und vor Saigon an Fruchtplantagen vorbei. Raumplanung scheint es keine zu geben, Regeln wie auf der Strasse gerade so viel, dass das System noch nicht zusammenbricht.
Kennen Sie die Grimmmärchen vom reichen und armen Nachbarn? Hier in Vietnam gäbe es die Kulisse dazu. Neben Verhauen aus Blech, Plastik und Palmenblättern stehen irrwitzige Kleinpaläste, weisse Zuckerschlösschen zwischen Disney und Barock. Klar, bei uns zeigt man auch, was man hat. Aber hier treibt es der zu Reichtum Gekommene auf die Spitze. Angesichts der grassierenden Armut nicht weniger dekadent als bei uns, nur schlagender!

Am späten Nachmittag erreichen wir Ho Chi Minh Stadt – Saigon. Ein Moloch. Bald 10 Millionen Einwohner. Die Luft stinkt, im Einbahnverkehr spült es den Verkehr durch die Stadt. Wer sich als Fussgänger fern eines Zebrastreifens mit Ampel über die Strasse will, muss sich trauen und rennen. Freiwillig hält niemand, man verringert nicht einmal das Tempo. Auf der Strasse herrscht das Gesetz des Stärkeren.
Unser Hotel, noch einmal das gleiche wie in der ersten Nacht nach unserer nächtlichen Ankunft in Vietnam (Hotel Love!) steht an einer stark befahrenen Strasse unweit des Flughafens. Wieder ein Zimmer ohne Fenster, mit vakuumisierten Frotteetüchern, warmem Kühlschrank und brettharter Matratze. Aber es ist unsere letzte Nacht in Vietnam. Und weil wir auch schon auf dem Boden schliefen, ist ein solches Bett schon Luxus. Chúc ngủ ngon!

Beitragsbilder Gallus Frei-Tomic