Jeder in seiner Welt
Manchmal setze ich mich ins Café, um in Ruhe schreiben zu können, bestelle mir einen Kaffee, eine Praline dazu, lasse den Blick kurz schweifen, um zu beginnen. Mir gefällt das Gemurmel, das mich nichts angeht. Es scheint meine Konzentration anzustacheln. Aber manchmal klappt das nicht. Sie kennen das. Sie sitzen im Zug und müssen das Abteil verlassen, weil jemand kaum einen Meter Luftlinie entfernt mit Stöpseln in den Ohren so laut über die Untreue ihres Freundes schimpft, dass man sich zu schämen beginnt und zur Flucht genötigt wird. Im Café wars diesmal anders. Zwei ältere Männer hinter mir hielten mich vom Schreiben ab. Sie sprachen im Minutentakt über alle möglichen Themen; Motorräder, Frauenschuhe, Fussball, Energieineffizienz, Ferien in der Türkei, Trump, Rasentrimmer, Überstunden… Ich sass mit dem Rücken zu den beiden, sah sie nicht. Aber irgendwann legte ich den Stift weg. Ich war nicht überrascht über die Sprunghaftigkeit, auch nicht erschüttert über die deftige Wortwahl. Auch nicht über Meinungen, die ich nicht teilen konnte. Aber darüber, wie weit ich in meiner Welt von der ihren entfernt bin. Als ich dann doch genug hatte, ein erneuter Versuch zu schreiben gescheitert war, packte ich meine Sachen, legte die Münzen neben die Tasse und stand auf. Am Tisch hinter mir sassen zwei Männer so alt wie ich, die meine Brüder hätten sein können.
Gallus Frei-Tomic
Titelfoto «Sprengtafel» von Philipp Frei