Irgendwann kauft sich Rose, bald fünfzig, im Internet einen Revolver. Es sollte und durfte niemals mehr passieren, dass ein Mann sie mit der Hand oder auch mit Worten zu Boden schlägt. Nie mehr! Der Revolver in der Handtasche als Versicherung, dass es nie mehr passieren würde, nie mehr.
Rose hat sich in ihrem Leben eingerichtet. Ein Leben mit vielen Ups and Downs. Einer Scheidung, zweier Kinder, die sich irgendwie verlieren konnten, einer Arbeit, die sie nicht wirklich brauchte, aber müde machte und der Einfältigkeit eines immer gleichen Feierabends mit ziemlich viel Alkohol.
Bis in der Bar, in der sie sich nach der Arbeit oft mit ihrer einzigen Freundin trifft, die wie sie auf den einen besonderen Moment in ihrer immer schmaler werdenden Zukunft hofft, ein Mann in der Bar auftaucht. Ein Mann mit einem blutendenden Hund in seinen Armen. Einem Hund, dessen Eingeweide wegen eines Autos aus der Bauchhöhle fliessen, der sterben wird. Rose holt ihren Revolver aus ihrer Handtasche, dieses Ding, dass sie bisher nur im Wald ausprobierte, das sie mit seiner kalten, stählernen Schönheit aufrechter gehen lässt. Sie schiesst ein Mal, dem Hund in den Kopf. Das eine Leben hört auf, die Beziehung zu Luc beginnt, denn kurz nach dem Schuss ruft dieser an und sie treffen sich. Zuerst zaghaft, weil Rose keine Lust und auch keine Kraft mehr hat, sich ein weiteres Mal in den Fängen eines Mannes, in den Ketten einer Beziehung zu verheddern. Aber aus den gelegentlichen Treffen werden mehr. So wie aus der anfänglichen Faszination für diesen Mann auch die Ernüchterung steigt.
Und dann passiert es wieder. Ohne Vorwarnung, mit aller Wucht trifft Lucs Hand Roses Gesicht. Sie spürt den kupfernen Geschmack im Mund. Und als Luc ihre Wohnung mit Gepolter verlässt, ist sie es, die mit Schuldgefühlen zurückbleibt. Aber mit dem Entschluss, dem Schrecken ein Ende zu bereiten. Wenn nötig auch mit dem Revolver.
Aber es kommt anders. Luc schafft es, sich mit Rose zu versöhnen. Obwohl Rose spürt, dass in der Beziehung keine Hoffnung mehr liegt. Zu viel ist passiert, zu viel Unentschuldbares, zu viele Verletzungen, zu viel Schmerz, zu viel Alkohol. „Eine Frau und ein Mann, die sich an der Hand hielten und dachten, sie verstanden sich. Mehr braucht es nicht, um ein Paar zu sein.“
Rose und Luc fahren noch einmal gemeinsam weg, in ein Hotel mit vielen Sternen. Sie sitzen an einem Tisch und alles inszeniert Luc zu einem grossen Neubeginn, einem Neustart, an den Rose weder hofft noch glaubt.
Auch wenn Nicolas Mathieus Roman nicht einmal hundert Seiten zählt, strotzt er vor Kraft und Wucht. Lebensentwürfe gibt es mit fünfzig keine mehr. Die Möglichkeiten in der Zukunft sind begrenzt und das, was man an Vergangenem mit sich herumträgt wird immer schwerer und belastender. Rose versucht sich an dem wenigen festzuhalten, was ihr geblieben ist. Und das Wenige, das sie sich noch erhofft, will sie sich nicht aufzwingen lassen. Aber wie soll man aus dem Ungleichgewicht ausbrechen, aus der Tatsache, dass viele Frauen in einer Beziehung alles aufgeben, und Männer nichts preisgeben. Dass das Feuer einer Liebe allzu schnell erlischt in Gewohnheiten, Unausgesprochenem und der Gewalt des Erstarrten. Die Sehnsucht nach Geborgenheit, Liebe und Sicherheit macht nicht blind, aber sie lähmt. Und je länger eine „Beziehung“ in unerfüllter Sehnsucht vertrocknet, desto schwieriger wird es, aus ihr auszubrechen.
Nicolas Mathieu schreibt Sätze wie Revolverschüsse. Sie peitschen sich ins Bewusstsein: Der Revolver würde den üblichen Lauf der Dinge stoppen oder Das Unglück sass ihr unter der Haut. „Rose Royal“ ist ein Konzentrat. Der Roman schreit förmlich nach einer Verfilmung. Er zeichnet in wenigen Strichen, was meine Phantasie braucht, um mit eigenen Bildern den „Streifen“ aufzufüllen. Eine harte Geschichte um betoniertes Rollenverständnis. Frauen geben ihre Sicherheiten auf, Männer gewinnen.
Schnörkellos erzählt fährt der Roman bis in die Knochen!
Nicolas Mathieu wurde 1978 in Épinal geboren und lebt in Nancy. Sein erster Roman erschien 2014 und wurde für das Fernsehen adaptiert. «Wie später ihre Kinder» wurde 2018 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.
Beitragsbild © Bertrand Jamot