Cornelia Travnicek «Energien», Plattform Gegenzauber

I. Wassergang

Eins ist Schwarm und Schwarm ist eins
Unter den Flossen raue Rampen so steigen
Beigezeiten abertausend Glasaalkinder 
über ihre Sohlengleiten
Wir haben Oberwasser

Räderschlagend mahlt und wendet
ein Mühlenstein
das Dreistromland

Im Mäanderbecken schwankt der Spiegel

Doppelhelix formt den Turmfischpass
Stromaufwärts Archimedes Kronenhaupt
Kann die Wanderlinge singen hören
Ich halte eine Muschel an mein Ohr
Effervo. Aqua. Laborare.

Mit Laufwasser leise tröpfelnd
Hingetreten 
Auf was sich an den Stufen staut

Fällt was gesammelt in den Schacht

II. Windfrequenzen

Schlag auf Schlag trifft 
Uns ein Schatten 
Schneisen in den Vogelflug
Ein Windmühlband am Hügelrand
Der Kampf beginnt 

Grün klagt grün  
Und nichts wird grüner  
Strukturelle Festigkeit

Das letzte Opfer ist die Landschaft

Wucht und Unwucht hängt sich an die Rotorblätter 
Altersmüder Großwindräder 
Viertel des Jahrhunderts später
Wenn ein Schild bestimmt 
Neglegere. Vento intermisso.

Unhörbar kommt ein Schall gekrochen
Wir halten fest
An Nichts das bleibt

Alles steht hier nur zur Pacht

III. Lichtvolten

Eins in einer Milliarde
Härchen auf deinem feinen Nacken
Glühwurmenden in der Abendstunde 
wenn du auf den Schindeln kniest
Der Winkel stimmt

Faltergleich hebt und senkt 
ein Sonnenwind 
die neuen Flügel

Der Tag verebbt in kurzen Wellen

Metall zieht sich durch Metall
Du stehst frei Hand auf meinem Giebel
und drehst dem Wetterhahn
eine Zauberformel in sein Ohr
Iridie, Platina, lucescit!

Die Zukunft ist aus Sand gebaut
mit Sonnenhonig prall 
die blauen Waben

Auf jeden Morgen folgt die Tracht

Cornelia Travnicek «Parablüh», Limbus, 2017, 88 Seiten, CHF 18.90, ISBN 978-3-9903910-1-3

Cornelia Travnicek, geboren 1987, lebt in Niederösterreich. Studium der Sinologie und Informatik, arbeitet als Researcher in einem Zentrum für ­Virtual Reality und Visualisierung. Für ihre literarischen Arbeiten wurde sie vielfach ausgezeichnet. 2012 erschien mit grossem Erfolg ihr Debütroman «Chucks», der 2015 verfilmt wurde. Nach dem Roman «Junge Hunde» (2015) und dem Gedichtband «Parablüh» erschien 2019 ihr erstes Kinderbuch «Zwei dabei» (illustriert von Birgitta Heiskel).

Rezension des Romans «Feenstaub» auf literaturblatt.ch

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Bogenberger Autorenfotos

Cornelia Travnicek «Feenstaub», Picus

Dass die Welt nicht die ist, wie sie auf Kalenderblättern und Hochglanzmagazinen, Instagramkanälen und Webseiten erstrahlt, wissen wir längst. Dass inmitten unserer Welt aber noch ganz andere Welten existieren, im Schatten der unsrigen, in Ritzen, Höhlen, Zwischenräumen und Brachen, das übersehen wir geflissentlich oder auch unwissend. Cornelia Travnicek, Romanautorin, Lyrikerin und Übersetzerin führt mich in ihrem neuen Roman «Feenstaub» in eine solche Zwischenwelt.

In den Wohlstandsländern Mitteleuropas leben Tausende obdachloser Strassenkinder, meist unsichtbar, im Verborgenen, in einer Welt, die den Vorübereilenden verschlossen bleibt. Petru, Cheta und Magare sind drei solche Jungs. Sie leben auf einer Insel, einem Zwischenreich, mitten auf einem Fluss, und doch mitten in einer Stadt. Immer wieder besucht sie Krakazil, der von den drei Jungs seinen Anteil einfordert von den täglichen Gaunereien als Taschendiebe, ihren Streifzügen durch die Stadt. Ein Mann, der die drei Knaben mit Versprechungen in der Hand hat, von jedem der dreien ein Pfand mit sich trägt, das sie an ihn bindet. Ein Mann, der die drei Jungs mit ihrer Angst im Griff behält und auch nicht davor zurückschreckt, handgreiflich zu werden.

«Manchmal träume ich. Meine Träume haben einen ausgefransten Rand.»

Cornelia Travnicek «Feenstaub», Picus, 2020, 278 Seiten, CHF 31.90, ISBN: 978-3-7117-2090-0

Eines Tages lernt Petru ein Mädchen kennen. Marja. Ein Mädchen mit einem Zuhause, einer Familie, einem Vater, einer Mutter, einem grossen Hund. Ein Mädchen, dass zur Schule geht, während Petru nicht einmal lesen kann. Sie beide ziehen sich an, weil beide das Gegenüber zu nichts zwingen, weil sie vorsichtig, fast ängstlich bleiben. Marja nimmt Petru mit in ihre Familie und Petru lernt zum ersten Mal kennen, was Familie, Zusammengehörigkeit und ein Zuhause bedeuten könnte. Marja lernt Petru sogar das Lesen. Aber während an einem Ort die Nähe wächst, beginnt auf der Insel das Gefüge zu bröckeln.

«Die Bäume sind aus Kristall. Am Himmel hängen drei erstarrte Sonnen, eine grosse und zwei kleinere, Abglanz aus weissem Licht.»

Einziges Mittel des Trosts auf der Insel ist Feenstaub, ein Pulver, das einem wegträgt, das einem unsichtbar macht, das einem fliegen lässt. Ohne ihn würden sie die Farben nicht mehr erkennen, wäre alles nur noch im Grau. Sie tragen ihn in kleinen Beuteln auf ihrem Laib, Beuteln, die dem grossen Krakazil verborgen bleiben, im Gegensatz zu den Handys, von denen der Meister nichts wissen will, die er ihnen unter Drohungen verbietet. Aber eines Tages erscheint Krakazil wieder auf der Insel, zusammen mit einem kleinen Jungen, mit Luca, den er bei ihnen zurücklässt mit der Aufgabe, auch aus ihm einen Dieb zu machen. Luca taugt aber nicht, wimmert und bettelt nach seiner Familie, die man ihm genommen hat. Und als Cheta Petru verrät, dass er eine Pistole versteckt hält und eigentlich nur auf das grosse eine Ding hofft, dass sie frei machen wird, weiss Petru, dass das Gefüge zu zerbrechen droht.

«Zu Hause, das ist, wo man dich haben will … Aber das verstehen sie nicht.»

Cornelia Travnicek erzählt eine Geschichte aus einer Zwischenwelt, nicht nur in seiner Handlung, sondern auch sprachlich. Eine Variante der Peter-Pan-Geschichte, von den verlorenen Jungs, die nie erwachsen werden ,von jenem Feenstaub, mit dem man fliegen kann. Cornelia Travniceks Sprache bleibt schwebend, orientiert sich nicht an einer stringenten Handlung, erzählt nicht nach, sondern zeichnet Bilder, die an Lyrik erinnern. Die Handlung erschliesst sich erst nach und nach und die Bilder, die Cornelia Travnicek malt, erklären nicht, sondern vermitteln Zustände, Wahrnehmungen und Stimmungen. Mag sein, dass es LeserInnen gibt, denen dieser sprachliche Feenstaub zu zauberhaft ist. Wer sich aber auf dieses Leseabenteuer einlässt, wird reich belohnt, belohnt durch Sätze, die ganze Geschichten erzählen, Sprachmelodie, die im wahrsten Sinne des Wortes bezaubert und den Mutigen etwas schenkt, was in der Literatur so nur ganz selten gelingt; Prickeln!

© Paul Feuersänger

Cornelia Travnicek, geboren 1987, lebt in Niederösterreich. Studium der Sinologie und Informatik, arbeitet als Researcher in einem Zentrum für ­Virtual Reality und Visualisierung. Für ihre literarischen Arbeiten wurde sie vielfach ausgezeichnet. 2012 erschien mit grossem Erfolg ihr Debütroman «Chucks», der 2015 verfilmt wurde. Nach dem Roman «Junge Hunde» (2015) und dem Gedichtband «Parablüh«» erschien 2019 ihr erstes Kinderbuch «Zwei dabei» (illustriert von Birgitta Heiskel). 

Webseite der Autorin

Beitragsbild © Bogenberger Autorenfotos