Auch wenn man bei der Lektüre von «Der Letzte meiner Art» versucht sein kann, der Geschichte nur die schrägen Seiten abzugewinnen, die Überzeichnungen, die Konzentration an schrägen Typen, in Schieflache geratenen Akteure, die Geschichte im Theatralischen beinahe zu kippen droht, man geneigt ist, dem Roman seine Ernsthaftigkeit abzuerkennen. Zugegeben, «Der Letzte seiner Art» ist Groteske, aber vor glasklar realem Hintergrund – und herrlich zu lesen.
Alfred von Ärmel ist von durchaus seriöser Erscheinung. Auch seine Familie, sein begabter grosser Bruder, sein Fabrikantenvater und die selbst im Alter blendend aussehende Mutter, die bis zu ihrem «Schluss» ein Dolde Verehrer zu mobilisieren vermag. Auch Alfreds bemerkenswerter Stammbaum geht zurück bis zur Schlacht von Marignano, als einer seiner Vorfahren mit gleichem Namen zum Held mit Helebarde wurde. Alfred von Ärmel würde sich liebend gerne in die Reihe heldenhafter von Ärmels stellen, aber alles in seinem Leben legt sich dieser Absicht quer: Ein steifer Vater, dem der Nachfolger in seiner Wimpelfabrik fehlt, eine hyperaktive, ruhelose Mutter, die ihn mit Verachtung straft und ein Bruder, der alles Wohlwollen bindet, dem man von Kindesbeinen eine grosse Zukunft voraussagt, der aber im entscheidenden Moment von der Bildfläche verschwindet, für immer.
Alfred von Ärmel ist ein Einsamer. War es schon als Kind, ohne Freunde in der Schule, ohne Liebe in der Familie, ohne Wirkung auf das weibliche Geschlecht, ohne Kraft, sich endlich als der Held zu zeigen, der er eigentlich sein möchte. Alfred ist ein aus der Zeit Gefallener, ein Überbleibsel aus der grossbürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts, mit Etikett und überheblicher Nobles im 21. Jahrhundert gestrandet. Auf der letzten Seite des Romans lässt Lukas Linder ihn sagen: «Ich war eine Witzfigur, eine Karikatur. Ich war der Letzte meiner Art.» Ein Don Quichot, ein Münchhausen, ein Ritter der traurigen Gestalt.
Als Leser folge ich dem armen Tropf von Niederlage zu Niederlage, auf der Suche nach jenem Moment, der ihn zum Helden macht, der den Vorhang fallen lässt, hinter den ihn die Zeit und seine Familie verbannt hat.
Der Reiz der Lektüre ist das Absonderliche, das Groteske. Dass ich als Leser das Gefühl habe, schon das Entstehen des Buches muss ein Vergnügen gewesen sein. Als hätte sich Lukas Linder von Logik und Stringenz befreit, um bei jeder Wendung der Geschichte eine Überraschung mehr zu kreieren. Als wolle sich der Autor bei diesem Buch auf jeder Seite, bei jeder Wendung dagegen stellen, dass dereinst die in diesem Fall abstruse Frage auftreten könnte, was denn nun an der Geschichte autobiographisch sei. Alles steht geschrieben und ist somit jene geschriebene Wahrheit zwischen zwei Buchdeckeln. Gekonnt inszeniert von einem preisgekrönten Theaterautor. So erfrischend erzählt, wie man es auf der kleinen Bühne dar Schweizer Literatur sonst nie antrifft.
Lukas Linder, geboren 1984 im Kanton Zürich, studierte Germanistik und Philosophie in Basel. Er ist Dramatiker, schrieb unter anderem für das Theater Basel und wurde mit mehreren Preisen, darunter dem Kleist-Förderpreis und dem Publikumspreis des Heidelberger Stückemarkts, ausgezeichnet. »Der Letzte meiner Art« ist sein Romandebüt.