«Lauernde Einsamkeit» – In ihrem ersten Roman zeichnet Martina Dénervaud literarisch eine Tristesse, aus der es auszubrechen gilt und gibt in knappen Worten Auskunft dazu.
Gastbeitrag von Urs Heinz Aerni
Urs Heinz Aerni: Wir treffen uns in Zürich, genauer am Bahnhof Altstetten und spazieren unter den Platanen. Sie sind eine frischgebackene Schriftstellerin mit Ihrem Roman «Glas Mauern». Lässt sich im Wissen, dass ein eigenes Buch nun in den Buchhandlungen liegt, etwas anders flanieren?
Martina Dénervaud: Eigentlich nicht. Ich glaube der eigentliche Kraftakt war für mich wohl eher das Buch fertig zu schreiben. Die Geschichte begleitet mich schon sehr lange. Ich bin froh, dass ich sie nun loslassen kann. Das mit dem Buchladen ist mir eher ein wenig unheimlich…
Aerni: Es ist keine leichte Lektüre, was die Gemütsverfassung angeht. Ein Stefan will aus dem Elend des Elternhauses und dem trostlosen Dorf entfliehen mit Blick auf den Hochglanz des grossen Geschäfts der Grossstadt. Wie fanden Sie zu diesem Stefan?
Dénervaud: Es ist wohl eher so, dass er mich gefunden hat. Die unzähligen Begegnungen und Gespräche in meinem Berufsalltag sind irgendwann zu Stefan geworden.
Aerni: «Dave ist der Versuchung der Stadt erlegen, ihrer stummen Verführung.» heisst es bei einer Stelle. Wie sehen Sie die Wirkungskraft von Städten auf uns Menschen?
Dénervaud: Jede Stadt ist anders, hat ihre eigene Stimmung. In Städten ist alles möglich. Sie verführen dazu uns glauben zu lassen, dass sie uns eine Identität geben, und wir lassen uns gerne täuschen. Darum mag ich grosse Städte, man weiss nie, was oder wem man in ihnen begegnet.
Aerni: Sie beschreiben in einer klaren und ruhigen Sprache vom Ringen nach Identität, vom Scheitern, ja bis an den Tod heran. Wussten Sie schon von Anfang an, dass es diese Tonalität sein muss?
Dénervaud: Ja unbedingt. Die Geschichte lässt sich nicht mit Weichfiltern in Szene setzen. Stefan lebt in einer Welt mit Licht aus Neonröhren.
Aerni: Es könnte als ein Roman verstanden sein, der uns die Jämmerlichkeit widerspiegelt, von unserem Strampeln nach Karriere, Anerkennung und der Suche nach dem Kick eines modernen Lebens…?
Dénervaud: Das ist definitiv ein Aspekt davon. Jämmerlich ist es, weil Karriere und die Annehmlichkeiten eines modernen Lebens unsere Löcher nicht stopfen.
Aerni: Sie arbeiten im Bereich Human Resources und das unter anderem in der Finanzbranche und zwar international. Sie sammelten also reichlich Erfahrungen für Ihr Buch. Was tun Sie, damit Sie nicht dahin driften, wie es Ihren Protagonisten passierte?
Dénervaud: Im Gegensatz zu meinen Protagonisten ist mein Leben sehr farbig und ich weiss was mich glücklich macht. Die Zeit, in der ich mich hauptsächlich über meine Arbeit definiert habe, ist vorbei.
Aerni: Einsamkeit, Unternehmensalltag, Intrigen, Machtgier und der Wunsch nach Anerkennung bilden den Topos Ihres Romans. Wie gross sehen Sie die Chancen, dass wir da wieder hinausfinden?
Dénervaud: Da bin ich tatsächlich ziemlich desillusioniert. Bei Grossfirmen ist es doch so wie auf Instagram, alles muss glänzen und eine Nummer besser sein. Doch hinter der Fassade lauert die Einsamkeit und die gleichen alten Themen, ungeschönt.
Aerni: Bevor wir Sie wieder in die S-Bahn steigen, noch eine Frage: Wenn ich ein Gemälde malen würde, mit einem lesenden Menschen mit Ihrem Buch in den Händen, wie müsste es aussehen?
Dénervaud: Das Bild hat wenig Farben, ist auf das wesentliche reduziert. Lassen sie ausreichend freien Raum auf dem Gemälde. Der Leser braucht viel Platz, damit er seinen eigenen Gedanken zuhören kann.
Martina Dénervaud, 1976 in Zürich geboren, arbeitet als Führungskraft im Bereich Human Resources. Dabei ist sie im Finanzdienstleistungssektor in unterschiedlichen nationalen und internationalen Rollen tätig. Mit mehr als 20 Jahren Einblick ins Innerste von Unternehmen begleitet sie Menschen auf der Suche nach der eigenen Sinnhaftigkeit. Der Kampf gegen die Einsamkeit, die jeder von ihnen in diesem fordernden Mikrokosmos mit sich trägt, berührt sie immer wieder aufs Neue. «Glas Mauern» ist ihr erster Roman.