J. M. Coetzee «Ein Haus in Spanien», S. Fischer

Booker Prize, Nobelpreis – John Maxwell Coetzee braucht keinen Beistand mehr. Schon gar nicht aus der thurgauischen Provinz. Aber es gibt drei Gründe, warum ich doch auf den grossen Schriftsteller und Essayisten hinweisen möchte. Zum einen erschien bei S. Fischer ein schmuckes Bändchen mit drei Geschichten: «Ein Haus in Spanien». Ein schmales Buch, unaufgeregt, das die Stärken des Autors auf wenigen Seiten zeigt. Ein wunderschönes Büchlein, als wäre es mir zum Geschenk gemacht. Und drei Geschichten, die zum Weiterdenken anregen!

Vor ein paar Jahren las J. M. Coetzee schon einmal in Zürich. Und weil ich dachte, Gelegenheiten, ihn zu sehen und zu hören, würden selten genug bleiben, reservierte ich einen Platz früh genug und machte mich am besagten Tag vom Bodensee auf nach Zürich mit einer Tasche voller Coetzee-Romane. Aber als ich zeitlich schon ziemlich knapp, aber meines Platzes sicher vor den Türen des Veranstaltungsortes stand und eine Frau mit Brille die Reservationsliste mit der Nase knapp über dem Papier durchging, entschuldigte sich diese und meinte, mein Name sei nicht zu finden. Ich müsse warten, vielleicht gäbe es kurz vor Beginn noch einen freien Platz, den man mir überlassen könne. Ich stand da wie ein nasser Pudel, liess mich abschütteln, wie einen kleinen Jungen, sass eine  Stunde später wieder im Zug und ärgerte mich nicht über den Veranstalter, sondern über mich, der sich so einfach abschütteln liess.
Aber nun tut es J. M. Coetzee wieder. Er liest am 4. Juli in Zürich am Openair Literatur Festival im Alten Botanischen Garten. Eigens für das Festival präsentiert Coetzee seinen bisher unveröffentlichten Text The Glass Abattoir (Das Glas-Schlachthaus), eine Mischung aus Erzählung, Essay und ethischem Plädoyer. Ausgangspunkt ist die Frage, wie sich ein guter Sohn verhalten soll, wenn ihn die Mutter in einer Spätlebenskrise mit einer Fülle von Materialien über das Verhältnis von Menschen und Tieren bombardiert – und zwar nicht nur mit wissenschaftlichen Texten, sondern auch mit Anklageschriften gegen umstrittene Praktiken wie Vivisektion und industrielle Viehzucht.

Beim S. Fischer Verlag erschien 2017 nun das schmucke Büchlein «Ein Haus in Spanien» mit drei Geschichten, die zwischen 2000 und 2003 zum ersten Mal in den USA veröffentlicht wurden. So wie ich J. M. Coetzee für seine brillanten Romane schätze, für seine Meisterschaft, der Willkür und Gier auf den Nerv zu drücken, grosse Themen mitzunehmen, so liebe ich ihn für sein Feingefühl, Unscheinbares ernst zu nehmen und mehr als nur lesbar zu machen.

Wie schnell geht einem etwas über die Lippen, unüberlegt, dahin geworfen. So wie den Satz: «Ich habe mich in dieses Haus verliebt.» Kann man Dinge lieben? Oder sind Gedanken um solche Aussagen eine altmodische Pedanterie, der Neid eines Mannes, der zu alt, zu unbeweglich geworden ist, sich noch einmal zu verlieben, sei es auch bloss in ein Ding. Aber es ist gleichermassen  subtil und erfrischend, dass sich der Mann der Sprache um Abnützungserscheinungen der Sprache kümmert. Grund zum Kummer darüber gäbe es genug: Sitze ich an meinem Arbeitsplatz bei offenem Fenster, dringen manchmal Gesprächsfetzen von Jugendlichen an mein Ohr. Sie hocken unter meinem Fenster, rauchen, kiffen, schlagen das Rad und übertreffen sich gegenseitig mit verbalen Grobheiten. Da ist dieser eine Satz, dem Coetzee nachhängt kein Hammerschlag. Aber Grund genug, sich über das Wesen und die Launen der Liebe Gedanken zu machen.

J. M. Coetzee, der 1940 in Kapstadt geboren ist und von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt lehrte, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane und sein umfangreiches essayistisches Werk mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. zweimal mit dem Booker Prize, 1983 für ›Leben und Zeit des Michael K.‹ und 1999 für ›Schande‹. 2003 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Coetzee lebt seit 2002 in Adelaide, Australien.

Titelfoto: «Himmel über Meran» ©️ Philipp Frei