Zwei sind nachts in den finsteren Strassen einer Stadt unterwegs, ohne Ziel, solange, bis kein Lokal mehr offen hat, bis es nirgends mehr etwas zu trinken gibt. Zwei Freunde, schon alles gesagt, schon viel erlebt – und doch gibt es Abgründe, Erinnerungen ohne Licht. Dem Schriftsteller Jaroslav Rudiš und dem Illustrator Nicolas Mahler ist ein Graphic Novel gelungen, das vordergründig Banales, aber im Grunde von den Dramen des Lebens erzählt.
Sie sind Freunde. „Hast du eigentlich mit Hana geschlafen?“, fragt der eine.
Oder „Gibt es Hoffnung in dieser Welt?“
Antworten gibt das Gegenüber nur dünne. Die Zeichnungen von Nicolas Mahler dafür sprechen Bände. Zwei Stadtmenschen, alt gewordene Streuner, die durch die Gassen streifen, gefangen in Desillusion und dem Trott des Immergleichen. Eine Freundschaft, die sich an Biergläsern festhält, in der man über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens gar nicht mehr offen spricht, weil man glaubt, die Antworten des andern zu kennen.
„Den Wisenten kannst du vertrauen, den Menschen nicht.“ Sie sind eigentlich fertig mit der Welt, haben ihre Erfahrungen gemacht. Das Leben und die Geschichte hat ihnen recht gegeben. Und wenn dann doch noch etwas aufblitzt, dann brennt die Lunte nur bis zum nächsten Bier. „Nachtgestalten“ ist aber keine bild- und textgewordene Bierseligkeit, kein Morast, der sich nach Ernüchterung und Nüchternheit ausbreitet. „Nachtgestalten ist voller Witz und Einsicht, erzählt vom wirklichen Leben und davon, dass man es nicht sausen lassen soll.
Die beiden erzählen sich Geschichten und aus der Geschichte, wie sehr sie Geschichte und Geschichten fertig machen; ihre eigene Geschichte, die Geschichte ihres Landes, die Geschichte des Menschen. Sie sinnieren, mit langen Pausen, in denen Bier nachgegossen wird, ordentlich Bier, Geschichten, die mit steigendem Pegel immer verrückter werden.
„Eins ist sicher. Ich habe studiert, und ich verstehe die Welt nicht.“
Man muss es mehrfach lesen. So wie man immer wieder in die Kneipe einkehrt und immer wieder ein Bier trinkt. Mit jedem Glas steigt die Wirkung! Jaroslav Rudiš ist ein Magier der Geschichten. Und Nicolas Mahler sein kongenialer Zeichner. Zeichnungen, die die Wirkung des Textes vervielfachen und längst nicht nur bebildern. In kleinen Schlucken geniessen!
Jaroslav Rudiš, geboren 1972, ist Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker. Er studierte Deutsch und Geschichte in Liberec, Zürich und Berlin und arbeitete u.a. als Lehrer und Journalist. Im Luchterhand Literaturverlag erschienen seine aus dem Tschechischen übersetzten Romane «Grand Hotel», «Die Stille in Prag», «Vom Ende des Punks in Helsinki» und «Nationalstraße», bei btb ausserdem «Der Himmel unter Berlin». «Winterbergs letzte Reise«, der erste Roman, den Jaroslav Rudiš auf Deutsch geschrieben hat, wurde 2019 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Für sein Werk wurde er ausserdem mit dem Usedomer Literaturpreis, dem Preis der Literaturhäuser sowie dem Chamisso-Preis/Hellerau ausgezeichnet.
Nicolas Mahler, geboren 1969, ist Comic-Zeichner und Illustrator. Seine Comics und Illustrationen erscheinen unter anderem in Die Zeit, NZZ am Sonntag, FAZ und in der Titanic. Für sein Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2010 mit dem Max-und Moritz-Preis als «Bester deutschsprachiger Comic-Künstler» und 2015 mit dem Preis der Literaturhäuser. Zuletzt erschien seine Comic-Interpretation «Ulysses» im Suhrkamp-Verlag. Er lebt und arbeitet in Wien.
(Zeichnung mit freundlicher Genehmigung des Verlags)
Beitragsfotos © Leonard Hilzensauer