Luchsinger, Schmucki und Friedmann im Ungefähren als «Nœise» im Literaturhaus Thurgau

Literaturhäuser sind Schmelztiegel. Der Trompeter Christoph Luchsinger und die Ton-und Klangkünstler Annette Schmucki und Reno Friedmann verwandelten die Räume des Literaturhauses in eine vielstimmige Stimmen- und Toninstallation, die sich ganz bewusst gängigen Hörerfahrungen entgegenstemmte. Für einmal war Missverständnis erfrischend!

Sonst ist es im Haus eher ruhig, manchmal still, fast unheimlich still. Gäste berichten gar über nächtliche Geister. Manchmal scheine ich der einzige im Haus zu sein. Ich höre es atmen, die Geister und Seelen all jener, die in diesen Räumen lebten, schrieben, rangen. Aber zwischendurch schweigt alles, ausser Autotüren, Motorenlärm und das Gekläff der Hunde.

Aber immer wieder füllt sich das Haus mit Leben, strahlt aus und saugt ein – und zusammen mit den Klangkünstlern Christoph Luchsinger (Trompete), Annette Schmucki und Reto Friedmann (beide Konzept, Text, Komposition und Performance) mit einem ganz eigenen Klang-, Geräusch-, Sprach- und Tonnebel.

Im Untergeschoss stehen einzelne Transistorradios in Räumen verteilt, jeder in seiner eigenen Tonspur; russisch, chinesisch, englisch, albanisch, deutsch, thurgauisch und ungarisch. Christoph Luchsinger mit Trompete und Kopfhörer folgt seiner thurgauer Tonspur, antwortet, interpretiert und spricht mit seiner Trompete, wandelt durch die Räume, lehnt an einer Wand neben dem Bild Emanuel von Bodmans, dem Namensgeber des Hauses, einer Stimme, die immer leiser wird. Oder er kauert tief in einer Ecke vor der Tür zur Gästewohnung, wo sonst geschrieben wird, nur auf der anderen Seite, davor, dort, wo sonst vorbeigegangen wird. Mit geschlossenen Augen. «Ungefähre» nennt sich die Performance, die anschliessend im «Konzertsaal» unter dem Dach des Literaturhauses weiterklingt, die mich als Besucher mitnimmt ins Ungefähre, nicht Unfassbare.


Irgendwann sitzen die meisten Besucherinnen und Besucher irgendwo in den Räumen, die einen lesend in der ungefähren Geräusch- und Klangkulisse, die andern redend und schwatzend wie der Musiker selbst.

Aus den Transistorradios tönt es babylonisch, gleichzeitig, in- und übereinander, von einem Raum in den andern, bis hinauf unters Dach, wo Transistorradios zu Radioorchestern angeordnet sind, Inseln in einem Raum. Man will hören, verstehen oder einordnen, andere möglichst das Ganze auf sich wirken lassen, dabei entzieht sich Sprache, verweigert sich. Vielleicht ein Spiegel dessen, was in Gesellschaft, in der Kultur passiert, wo Eindeutigkeit immer weniger gefragt ist, Verwirrung und Verirrung um sich greift, sich das Fassbare in Nischen zurückzieht, vor dem man niederknien muss, um es verstehen zu können.

Christoph Luchsingers Spiel ist ein durch eine Trompete geblasener Sprechgesang in einer Vielstimmigkeit, die nicht in erster Linie gefallen will. Luchsingers Trompete schmeichelt nicht, ebenso wenig das «Radioorchester». Aber Nœise spiegelt die Welt.

«rauschen, wörter, stille stille. «noch nie sei stille so hörbar gewesen». es gab kein entrinnen. stille kann man nicht stillen. die stille will ausgehalten sein. wie der radiofone mix aus unterschiedlichstem rauschen, plärren, fiepen, singen zu beginn der performance – stille ist dehnbar. besonders für den trompeter, der über lange zeit konzentriert keinen ton spielen durfte. lieber gallus frei, liebe brigitte conrad, es war ein sehr schöner abend bei euch im bodmanhaus. lyrik aus wort, aus laut, aus ton, aus stille. aus dem zusammentreffen von all dem. lyrik wie aus einem wohlunpräparierten mixer. herausfordernd. herausfordernd und unvergesslich auch wegen der mitperformenden elektroheizung, die unsere ukw-sender ausser gefecht setzte und uns bis kurz vor der aufführung fast zum verzweifeln brachte. euer blablabor, annette schmucki und reto friedmann mit christoph luchsinger»