Ruth Loosli «Hungrige Tastatur», Waldgut

Ruth Loosli ist eine Streiterin für das Wort, oft unterwegs, viel im Gespräch, immer mit spitzem Stift und kleinem Büchlein. Vor ein paar Jahren lud ich sie einmal ganz spontan zu einer Krimilesung in einer Buchhandlung in Winterthur ein. Ich sah sie am Schaufenster vorbeigehen, kurz stehen bleiben. Aber weil das Buch sie dann doch nicht zu fesseln vermochte, sass sie vor mir mit Stift und Büchlein und begann zu schreiben. Als wäre es hilfreich im Kampf gegen etwas, was ihr nicht gefällt. Als wäre Sprache, Schrift und Schreiben Schild und Speer, mit denen sie sich gegen das zur Wehr setzt, womit die Welt sie attackiert.

Gespräch mit Dichtung:

In einem ihrer Gedichte steht am Anfang:
Die Gedichte ruhen.
Sie sind Handläufe
die unserer Melancholie
schmeicheln und sie
hinunter auf die Strasse
begleiten.

Gibt dir das Schreiben Halt, eine Richtung? Braucht es das Schreiben und ganz besonders Gedichte, um eine immer schwerer zu lesende Gegenwart verständlicher zu machen? Gedichte als Kontrapunkt zu Fakten, denen man dann doch nicht trauen kann?

Das Dichten an sich, dem oft eine innere Aufmerksamkeit vorangeht, ein absolut konzentrierter Moment (wie der Moment, wenn ein Bogen gespannt wird) gibt mir Halt. Es ist meine Art, der Welt zu begegnen. Und auch meiner eigenen Alchemie, die immer wieder für Überraschungen sorgt, für Unsicherheit, für ein Ausbrechen ausgetretener Denkpfade. Überhaupt scheint der Verstand der heutigen Menschen ein Verzerrer zu sein und jeder will für sich in Anspruch nehmen, die Art, wie er die Welt sieht, sei die richtige. 

Das erscheint mir lächerlich. Wir sehen täglich, in welche Sackgassen uns dieses Denken führt. Natürlich muss man die Dinge ordnen können, aber sie auf schwarz-weiss hinunter brechen zerstört uns als Menschengemeinschaft und unsere Umwelt. 

Wenn dann noch ein Gedicht entsteht in meinem Alltag, ist das Glück. Das Glück, einer Wahrnehmung, einem Moment Gestalt zu geben. In Form von Worten. Andere machen es mit einem Bild, einer Melodie. Und ich habe mich dem Dichten anvertraut als Handlauf meiner Gegenwart. 

Gerne weniger

an Gier
an Verlust an
Land an
Hunger an
Ohnmacht an
Rattengift an
Rampenlicht an
enger Sicht an
Hass an
Blindheit und
geschundener
Kindheit
(denn dort werden
die Weichen gestellt)

Man spürt die Leidenschaft, als nähmst du ein Messer in die Hand. Wenn dein Schreiben filetiert, aufschneidet, zusticht. Und doch ist da auch der grosse Hang zur Versöhnung, Umarmung, der Wunsch, den unlauteren Leidenschaften die Macht zu nehmen. Manchmal drückt Wut und Verzweiflung, manchmal das Wissen, dass nur das Kleine, Feine in eignen Händen liegt. Und wenn ich in meiner Lesart der Flüchtigkeit von Momenten bewusst werde, dann in Sätzen wie: «Sag es, ich halt dagegen an: die Luft!» Hat das Schreiben von Gedichten dein Sehen verändert?

Es war und ist ein Prozess und läuft immer auch parallel: ich schaue genau, weil ich Gedichte schreibe. Weil ich verstehen will. Weil ich mein Sehen und genaues Erfassen erweitern will. Das Gedicht ist dann eine logische Folge davon. Funktioniert aber auch umgekehrt, es beeinflusst und bedingt sich wechselseitig. 

Zweifel

Die mongolische Hochzeit
findet in der Bretagne statt

das Brautpaar wechselt dreimal
die Kleidung von weiss zu blau zu rot.

Der Abend schreitet fort
und mit ihm das Paar.

Sie trauen der Zeit nicht
obwohl sie einander einen Ring

an den Finger gesteckt haben.

Es liegt ein grosses Staunen in den Gedichten, gepaart mit der Bescheidenheit, die mit dem Mut kämpft, mit der Bescheidenheit, die sich im Hintergrund lässt. Die weiss, dass nur zu gewinnen ist, was man sich mit Sprache verinnerlicht.
Du bist viel unterwegs, im Zug, zu Fuss, mit den Augen, mit deinem Herz – aber auch in den sozialen Medien. Wo stolpert Ruth Loosli?

Welche Frage! Ruth Loosli stolpert immer wieder. Unbedarft. Ungeschützt und manchmal über sich selber. Über minimale Erhebungen, die ich zu spät erkannte, weil zu schnell unterwegs. Ja, manchmal will ich zu schnell an einem anderen Ort sein. Weil genau dort ein Gedicht auf mich warten könnte. Ein Gespräch, eine Idee, ein offener Himmel. Die Bewegung ist zentral für mich. Durch Bewegung und Unterwegs-Sein fühle ich mich lebendig. Und manchmal stolpere ich in ein Fettnäpfchen, weil es mir schwer fällt, Konventionen einzuhalten. Öfter noch stolpere ich in mein Schweigen, das sich als Fallgrube erweisen kann. Da hilft dann nur noch ein Gedicht. Fremd oder eigen unwichtig. 

Ertrinken

Ich könnte ertrinken
in meiner Zeit
sie schwappt über wie kochende
Milch über den Pfannenrand
beginnt zu zischen und
gleich danach zu stinken wie es
übergekochter Mich eigen ist
wenn sie die heiße Fläche berührt.

Auch ein bisschen die Angst darüber, was man mit dem «Sehen durch Schreiben» bei sich selber anrichten könnte? Schreiben ist ja nicht nur ein selig machender Prozess, ein nur glückliches Tun. Manchmal droht die Büchse der Pandora.

Ja, die Büchse der Pandora. Das Stinken von übergekochter Milch, wenn sie eine heisse Fläche berührt. Sie hat mit dem Schreiben selbst wenig zu tun (aber auch und gerade das kann man wiederum ganz anders sehen und begründen). Das Schreiben scheint mir eine der wenigen Möglichkeiten, das Stinken zu beschreiben, damit wir es wenigstens als Solches erkennen. Den schlechten Träumen die Stirn zu bieten. Die luftigen, leichten willkommen zu heissen. Die Träume sind mir wichtige Hinweise. Und manchmal scheint mir das ganze Leben mit Wort und Zahl ein einzig listiger Traum. 

© Anne Bürgisser

Ruth Loosli, geboren 1959 in Aarberg (Seeland), wo sie aufgewachsen ist. Sie hat drei erwachsene Kinder und ist ausgebildete Primarlehrerin. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet sie in Winterthur. Sie veröffentlicht in Anthologien und Literaturzeitschriften. Ein erster Gedichtband «Aber die Häuser stehen noch» erschien 2009. Es folgte im Wolfbach Verlag (DIE REIHE, Band 5) 2011 «Wila, Geschichten»; dieser Band wurde mittlerweile auf Französisch übersetzt. In derselben Reihe erschien 2016 der Lyrikband «Berge falten». «Hungrige Tastatur» ist ihre erste Publikation im Waldgut Verlag.

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Beitragsbild © Ruth Loosli (Schreibbilder)