Weiß man gar nicht, wie dunkel die Zeit der Lichter ist, bevor einer darin stirbt, statt geboren zu werden. Ähnlich ist, was sie dir ins Haus tragen, wenn du dann alle wissen lassen musst: Wir haben einen verloren. Myrrhe, Weihrauch, zu wenig Gold. Keiner bringt die Windeln mehr, die Sanitärartikel, keiner rollt die Augen, weil die Rezepte immer zum Freitag auslaufen und die Stürze als Regel immer tief in der Nacht, früh am Morgen ebenfalls zum Wochenende hin geschehen. Keiner telefoniert mehr wie wild. Und keiner weint, weil der Schnee selbst unwissend fällt. Die Natur ist Komplizin ihrer selbst, lacht ein bisschen über dich, weint verstohlen ein bisschen mit dir. Hast eine ganz neue Landkarte und wünschtest, da wäre ein Esel, ein Ochse. Ein paar große Tiere, die dich ablenken, deren Umsorgung eine Anstrengung wäre. So bist du nur ein Lebewesen ohne den anderen und das zur Weihnachtszeit. Vielleicht selbst der Ochse, der Esel – ein Tier, das man waschen und füttern muss, trotz schwerer Hufe, die man kaum anheben kann. Liegen da die Strümpfe, die engmaschigen, hautfarbigen, die man kaum über Beine und Hände zwingen konnte. Liegen da die Unmengen an Handtüchern, die Unfälle vermeiden, rasch ungesehen machen sollten. Liegen da Brille und Zähne. Engel kommen und gehen, sie lassen Federn. Das Haus wird ein Flughafen. Du hältst die aufwirbelnden Blätter fest: Fotos, Einkaufs- und Notizzettel, Beweise der Handschrift einer Hand, die nie mehr sichtbar werden wird. Du begreifst und verschiebst und verschreibst dich der Erinnerung, wirst ihr Besitzer, hängst ein Schild an dein Hirn: Cave Canem. Dieser Hund wird beißen, wer deiner Erinnerung widerspricht. Diese Phase – alles wird phasisch – hält an, wird groß und wild, deine Tränen waren nie feuchter. Nach dem Grab kommen der Frühling, das Auferstehen. Und schon im Sommer sind die Gedanken wieder voller Kerzen und du machst Yoga und lernst neue Rezepte für den Winter. Darin wird alles Schleife. So eine um die Geschenke, so eine im Hirn. Im Gottesdienst wird noch einmal der Name erwähnt, da klingt er schon fremd und wie Legende. Dann ist Weihnachten. Und die, die übrig sind, schlafen vor der Mitternacht. Schlafen im Stroh, träumen von sprechenden Tieren.
Nora Gomringer hat zahlreiche Lyrikbände vorgelegt und schreibt für Rundfunk und Feuilleton. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen sowie Aufenthaltsstipendien in Venedig, New York, Ahrenshoop, Nowosibirsk und Kyoto wurde ihr 2012 der Joachim-Ringelnatz-Preis für Lyrik zuerkannt. 2015 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis und 2019 war sie Max-Kade-Professorin des Oberlin College and Conservatory in Ohio. 2022 wurde Nora Gomringer mit dem Else Lasker-Schüler-Preis ausgezeichnet. Nora Gomringer lebt in Bamberg, wo sie das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia als Direktorin leitet.