„In diesem kleinen pittoresken Weiler, am Rhein, zwischen Ober- und Untersee, gibt es nicht nur ein mächtiges Schloss, sondern auch ein Haus, in dem einst ein Dichter wohnte, der seine drei Schreibtische gestern verlassen hatte, um den Lesungen seiner Kolleginnen und Kollegen zu lauschen, die von einem Menschen eingeladen wurden, der wie ganz wenige auf dieser Welt Literatur lebt.“ Patrick Tschan
Patrick Tschan erzählte mir schon vor Jahren mit Leidenschaft von einem Buchprojekt, für das er damals schon des öfteren ins kleine Städtchen am Bodensee gereist war. Weil er aber sehr lange mit der Erzählperspektive zu kämpfen hatte und ihn schmerzhafte Einsichten immer wieder zurückwarfen, dauerte es ungewöhnlich lange, bis der berührende Stoff einer äusserst kämpferischen Frau, die an eine reale Person, eine Buchhändlerin aus Überlingen angelehnt ist, den Weg zwischen Buchdeckel fand.
Aus der realen Buchhändlerin Eleonore Weber wurde die Protagonistin Emelie Reber. Eine kämpferische Buchhändlerin in einem Nachkriegsstädtchen, das exemplarisch ist für die Zeit nach dem Tausendjährigen Reich. Emelie Reber liebt nicht nur die Freiheit, die Wahrheit, die Gerechtigkeit, sondern die Sprache, einen untrennbaren Teil der Freiheit, der Wahrheit, der Gerechtigkeit. Und das Buch als Träger davon. Bücher als Inbegriff der Kultur. Sie bringt Tausende von Büchern aus Paris mit ans Bodenseeufer. Gleichzeitig ist Emelie Reber eine Versehrte, in vielerlei Hinsicht, auch in der Liebe. Trotzdem strahlt sie in unbändiger Kraft, mobilisiert eine ganze „Bewegung“.
„Ich weiss nicht, ob Mut einfach eine andere Form von Angst ist.“
Jeder Krieg ist ein Vernichtungskrieg. Ein Vernichtungskrieg gegen Leben. Aber auch ein Vernichtungskrieg gegen Kultur, nur schon deshalb, weil sich Kultur an keine Grenzen hält. Sinnbildlich in Deutschland für den Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren, auch jener der Kultur, waren die „Trümmerfrauen“. Männer schlagen sich die Köpfe ein, Frauen ordnen, was übrig bleibt. „Schmelzwasser“ ist ein KämpferInnenroman.
Patrick Tschan erzählte im Literaturhaus Thurgau in seiner unnachahmlichen Art von einer kleinen Stadt, die sich, angetrieben von Frauenpower, aus dem Würgegriff alter Strukturen befreit. Da erzählte ein in Leidenschaft Getauchter nicht einfach von seinem Buch, sondern von der Macht der Literatur. Patrick Tschan ist einer, der an die Kraft der Literatur, die positive Macht der Worte glaubt. „Schmelzwasser“ ist eine Geschichte des Widerstands, des Kampfs gegen Unfreiheit und Borniertheit. Widerstand ist Überzeugung.
Zur Rezension von «Schmelzwasser»
Beitragsfotos © Sandra Kottonau