Zwei Männer treffen sich nach Jahren wieder. Sam als Patient mit einer Rückenverletzung vor seiner Operation. Florian als sein Anästhesist. Die Operation ist „erfolgreich“, auch wenn Sam keine Zukunft als Gehender haben wird. Sam und Florian umkreisen sich, bis sich ihr Gravitationsfeld wieder zu jenem Doppelplaneten macht, der sie einmal waren.
Sie haben sich beide verloren, nicht nur gegenseitig, sondern jeder für sich. Sam galt einst als vielversprechender Künstler, Frauen lagen ihm zu Füssen. Nun liegt er im Krankenbett und hat keine Lust als Paraplegiker den Kampf gegen die Resignation aufzunehmen.
Florian wurde Mediziner, auch wenn sein Beruf mehr Rüstung war als Tat gewordene Leidenschaft. Ein Beruf, in dem er seinen Schmerz über die Trennung von Yvonne verbergen konnte, der einzigen Frau, die ihm ein Stück Himmel geben konnte. Ein Beruf, der ihn einlullte und zudeckte, der ihm zusammen mit all den Instrumenten jene Sicherheit gab, die er sonst in seinem Leben nicht finden konnte.
Sam will nicht mehr, trotz vielseitiger Bemühungen. Ein Leben durch Begrenzung eingeschränkt, will er sich nicht einmal vorstellen. Der fast zwei Meter grosse Hühne, der sich ein Leben lang durch Eigenwilligkeit von nichts zurückhalten liess, wird zu einem renitent verbitterten Koloss, dem der aufrechte Gang verwehrt bleibt. Ein in seinem Stolz gleich mehrfach geknickter Riese.
Florian versucht zu helfen, zuzureden, das, was Ärzte tun, wenn sie in ihren weissen Kitteln ans Bett eines Patienten treten. Aber Sam verweigert sich seinen Aufmunterungen und Florian schafft es nicht, seinem Freund, den er verloren glaubte, die Geschichten zu glauben, hinter denen Sam sein Leben erklärt. Durch die zwei Jahre, in denen sie nichts voneinander mitbekamen, ist nicht nur die Freundschaft verwundet, sondern jeder auf sich selbst zurückgeworfen, unfähig auf den andern zuzugehen. Florian ahnt, dass es nicht einfach ein Sturz von einem Apfelbaum sein konnte, weil man Sam vor einem Fussballstadion gefunden hatte. Und Sam weiss, dass hinter der weiss bemantelten Souveränität seines Gegenübers, seines einstigen Freundes, ein Trümmerhaufen steht, ein Leben, das nur schwer zusammengehalten werden kann.
Sam und Florian sind beide Verwundete, in ihren Beschränkungen Gefangene, Eingesperrte. Jeder wartet auf den Schritt des Anderen, auf das die Krusten aufbrechen und sich die morastige Vergangenheit offenbare. „Ein Stück Himmel“ ist jene Ehrlichkeit, die es brauchen würde, nicht nur das kleine Stück Himmel über dem Bett von Sam, in dem er Wolken sieht, die ungehindert weiterziehen. Sam und Florian sind zwei kalt gewordene Planeten, die so lange umeinander kreisen, bis die Kraft der Gravitation die Schichten aufbricht und endlich an die Oberfläche tritt, was sichtbar werden muss, um in neue Bahnen zu geraten.
Klar ist das Buch auch ein Roman über einen Mann, der den Kampf gegen seine Einschränkung zu einem für Einschränkung wandeln muss. Aber „Ein Stück Himmel“ ist alles andere als eine Geschichte des Kampfes. Eingeschränkt sind wir alle. „Ein Stück Himmel“ stellt Fragen: Lebt man das Leben, das man leben will? Sieht man sich agierend oder bloss reagierend? Wann schaffe ich es, dem schweren Mantel eines Opfers zu entsteigen? Martin R. Deans Roman ist Auseinandersetzung. Auch eine um Fragen des Schmerzes, des physischen und psychischen Schmerzes. Martin R. Dean scheut sich nicht, sprachlich und inhaltlich klare Schnitte zu ziehen, so wenig, wie er offene Wunden scheut. „Ein Stück Himmel“ ist eine Reise zweier Freunde, eine Reise in die Tiefen der Geschichten, eine Reise in eine unbekannte Zukunft. Und letztlich ist der Roman ein ernstes Spiel mit den Gegensätzen in jedem von uns. Ein Kampf zwischen einem nach Sicherheiten Ringendem und einem nach Freiheit Suchenden!
Martin R. Dean wurde 1955 in Menziken, Aargau, als Sohn eines aus Trinidad stammenden Vaters und einer Schweizer Mutter geboren, studierte Germanistik, Ethnologie und Philosophie an der Universität Basel, unterrichtete an der Schule für Gestaltung in Basel und am Gymnasium in Muttenz. Dean ist vielfach ausgezeichneter Buchautor. Zu seinen jüngsten Werken gehören «Warum wir zusammen sind» (2019), «Verbeugung vor Spiegeln – über das Eigene und das Fremde» (2015) und «Falsches Quartett» (2014). Martin R. Dean lebt mit seiner Familie in Basel.