Margrit Schriber „Glänzende Aussichten“, Nagel und Kimche

Pia gehört eine Tankstelle in der Nähe der Autobahn. Pia trägt Latzhose und manchmal den Hut ihres schon lange verstorbenen Vaters. Er war ihr Lehrer gewesen, hat ihr alles gezeigt. Pia weiss alles über Motoren, auch wenn sie es selber nie für nötig gefunden hat, einen Führerschein zu erwerben. Pia wäre glücklich, wenn sich die Erde im immer gleichen Tempo drehen würde und die Männer so nicht wären.

1980, irgendwo im schweizerischen Mittelland. Noch hat es Wiesen hinter der Tankstelle. Selbst Gigi, Pias Nachbar, glaubt in seinem Containerbüro, dass er eines Tages seinen Occasionsverkauf teuer verscherbeln und dann irgendwo seine Haut an der Sonne schmeicheln lassen wird. Pia weiss, dass das wenige Geld, das sie mit Benzin, Sonnenbrillen und Illustrierten verdient, auf die Dauer nicht reichen wird. Was ihr ihr Vater einst als Perle übergeben hatte, droht an der Moderne zu scheitern.

Da sind auch die Männer keine Hilfe. Nicht der windige Luc mit seinem schnittigen Amerikaner, seinen Schmeicheleien und Drohungen. Nicht Gigi, der Occasionskönig mit seinen gebräunten Muskeln. Nicht Bolt, der Regionalvertreter des Benzingrossisten. Nicht Holzer, der Immobilienmann und Liebhaber ihrer Freundin Luise und schon gar nicht Andy, der Arzt, der sie einmal zum Glühen bringt. Höchstens Waldi. Aber Waldi ist ein Plüschhund auf der Kasse im Laden und nickt, wenn die Kasse klingelt. Er hört ihr zu.

“Glänzende Aussichten“ spielt gekonnt mit Klischees. Während des Lesens spielen sich unweigerlich Bilder ein, die an Filme erinnern, nicht zuletzt an solche mit Josef Hader. Dass die grosse Könnerin mit fast 80 derart spitzen Witz und Spitzigkeit in ihren Roman bringt, erstaunt nicht. Margit Schriber unterhält gekonnt, zeichnet ihre Figuren mit viel Liebe fürs Detail. Alle sind sie auf ihre Art Verlierer und Versager. Und wer den Roman liest, staunt über den Wiedererkennungseffekt. Zum Beispiel bei Luc, einst Pias Liebe. Bis Pia merkt, dass Luc viel mehr in sich selbst und seinen Auftritt verliebt ist und er bloss Personal und Zuschauer braucht. Einer dieser Aufgeblähten mit unendlichem Glauben an sich selbst, nicht zu brechendem Selbstvertrauen und der festen Überzeugung, die Sonne im System zu sein.

“Was uns tief im Innern trifft, darüber reden wir nicht.“

Pia kämpft sich durch, durch alle Widrigkeiten, die sich ihr in einer langen Kette entgegenstellen. Auch nach ihrem Entschluss, auf ihrem Grund eine Waschanlage bauen zu lassen, reissen Rückschläge nicht ab. Die Geschichte spiegelt das Frauenbild der 80er Jahre. Und wenn auch die Protzbeutel weniger werden – solange die Sorte zu Präsidenten werden, hat sich eben doch nicht viel geändert.
Und die Geschichte ist keineswegs an den Haaren herbeigezogen. Margrit Schriber weiss wovon sie schreibt. Sie kennt den Geruch von Benzin und Motorenöl, auch wenn ihre Kurzbiographie nicht danach aussieht.

Margrit Schriber wurde 1939 in Luzern geboren, als Tochter eines Wunderheilers. Sie arbeitete als Bankangestellte, Werbegrafikerin und Fotomodell. Margrit Schriber lebt heute als freie Schriftstellerin in Zofingen und in der französischen Dordogne. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Aargauer Literaturpreis für ihr Gesamtwerk.

Margrit Schriber bei ihrer Buchpremière in der Kantonsbibliothek Schwyz

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Titelfoto: Sandra Kottonau