Manuela Hofstätter (lesefieber.ch) und Gallus Frei (literaturblatt.ch) sind mit ihren Webseiten die offiziellen Buchpreisbegleiter des Schweizer Buchpreises 2021.
Ein Mailwechsel zum Thema:
Liebe Manu,
dass die Zeiten hart und wirr sind, brauche ich nicht zu erläutern. Auch dass es für Kulturschaffende und all jene, die an diesem Geschehen mitgestalten schwierig ist, muss nicht nacherzählen werden. Die Medien sind voll davon. Wir beide als Literaturvermittler (ich verzichte für einmal auf ein Genderzeichen, weil es in diesem Fall einfach doof ist) hatten auch Abstriche zu machen. Auch solche, die weh taten. Aber eines blieb: Das Buch und das Lesen. Was gab und gibt dir das Lesen in diesen Zeiten? Hat sich der Akt des Lesens verändert?
Gallus
Lieber Gallus,
du hast ja so recht und es ist in aller Munde, die Welt steht kopf zurzeit. Ich versuche mich richtig zu verhalten und leide aber unter der Unmenschlichkeit, die zunehmend überhandnimmt. Ja, was bleibt, ist das Buch und das Lesen, ich bin sicher, die Menschen lesen mehr denn je zuvor und ich meine dabei nicht die Berichterstattung der Medien, ich merke tatsächlich, es wird zum Buch gegriffen. Mein Leseverhalten hat sich tatsächlich verändert, ich habe einen neuen Lesesessel, der ist so bequem, ist das Buch nicht gut, schlafe ich ein. Mein Sessel unterstützt mich also bei meiner Wahl, was es zu lesen gilt. Auch was die Genres betrifft, bemerke ich eine Veränderung, ich habe mich nach erheiternder Literatur umgesehen und merke, Humor ist sehr kostbar und wichtig für mich, aber auch dem Krimi habe ich mehr Raum gegeben, der lenkt mich von allem ab und ich hänge plötzlich an dicken Büchern, gerne historischen Romanen, in eine vergangene Zeit einzutauchen, das finde ich momentan das Herrlichste. Die Belle époque etwa hat mich überaus gefesselt. Was meinst du, lese ich mich aus unserer problematischen Zeit hinaus? Ich werde mich nun mit den nominierten Büchern befassen, ich bin gespannt, wie du diese lesen wirst. Warst du auch überrascht von dieser Auswahl? Welches Werk wirst du nun zuerst lesen? Fragen über Fragen, ich bin eine neugierige Kollegin und ich freue mich auf diesen Austausch mit dir. Sei herzlich gegrüsst
Manu
Liebe Manu,
ich glaube, dass das Aus-der-Zeit-lesen zu jeder Zeit legitim ist, selbst dann, wenn es eine Flucht vor den aktuellen Problemen der Zeit ist. Lesen ist doch immer zu einem gewissen Teil Unterhaltung. Man will weggetragen werden, versinken, sich von Sprache verzaubern lassen. Schön, wenn sich beides verbinden lässt; das Hineintauchen in eine neue Welt und die Selbstreflexion während der Lektüre. Ich liebe Bücher, die das alles verbinden. Bücher, die Räume gegen innen und gegen aussen öffnen. Bücher, die mich nicht nur mit einer Geschichte locken, sondern die Sprache zu einem Instrument werden lassen, das zuweilen virtuos gespielt wird.
Klar überrascht mich die Liste der Nominierten des Schweizer Buchpreises jedes Jahr, aus ganz verschiedenen Gründen. In jedem Fall reibe ich mir die Augen. Da sind die einen Bücher, die ohne die Nomination völlig an meinem Blick vorbeigegangen wären, bei denen ich froh bin, dass mich die Liste laut auffordert. Zum andern sind es jedes Jahr Namen, die ich vermisse. Wie sollte es auch anders sein, bei 5 Nominierten. Wäre ich in der Jury des Schweizer Buchpreises, dann … es lebe der Konjunktiv.
Fazit meiner ersten Gedanken zu den 5 Namen: Wie immer versucht sich die Jury in Ausgewogenheit, was eigentlich unmöglich ist. Nach der letztjährigen Buchpreisträgerin Anna Stern sind es drei Männer und zwei Frauen. Nett, dass man auch zwei Debüts mit ins Rennen schickt, auch wenn es noch nie ein Erstling aufs Podest schaffte. Aber schlussendlich schafft die Jury die Überraschung ja dann doch. Warum kein Debüt, wird doch das eine Buch hervorgehoben und nicht das Werk. Warum nicht, der eine, der den Preis schon einmal entgegennehmen durfte, auch wenn es das meines Wissens auch in unserer Nachbarschaft ich nie gab. Warum nach zwei Preisträgerinnen nicht noch einmal ein Frau, ist das Buch doch sächlich.
Ich lese gerade eben „Eurotrash“ von Christian Kracht. Sprachlich ganz eigen und bestechend.
Liebe Manu, wenn man dich in die Jury setzen würde, welche Linsen würdest du bei der Auswahl deiner Favoriten aufsetzen? Was wäre dir wichtig?
„Lesen hilft immer.“
Gallus