Wer sich mit Literatur der Gegenwart beschäftigt, wird irgendwann am Namen Michael Köhlmeier hängen bleiben. Dass es für Katharina Alder, der Initiantin der Weinfelder Buchtage, ein Herzensding war, den grossen Österreicher einzuladen, war am ersten Abend dieser Buchtage greif- und spürbar!
Michael Köhlmeier lebt mit seiner Frau, der Schriftstellerin Monika Helfer seit langer Zeit nicht weit von der schweizerisch-österreichischen Grenze, war lange Radiomann beim ORF und hat in den vergangenen 40 Jahren ein umfangreiches Werk an Romanen, Erzählungen, Essays herausgegeben, hat sich lange erfolgreich mit der griechischen Sagenwelt und Märchen auseinandergesetzt und scheut sich nicht, zu aktuellen Themen pointiert seine Meinung zu äussern, selbst dann, wenn bei grossen Veranstaltungen die Angesprochenen im Publikum sitzen. Eindrückliches Beispiel dazu ist sein Buch «Erwarten Sie nicht, dass ich mich dumm stelle. Rede gegen das Vergessen.» Heinz-Christian Strache, mittlerweile verurteilter rechtspopulistischer Politiker, sass mit anderen seiner «freiheitlichen» Partei im Publikum, als Michael Köhlmeier in sechs Minuten ruhig und gelassen «seiner» Regierung die Leviten las.
Mittlerweile ist der Menge an Veröffentlichungen höchst beeindruckend, ebenso wie die lange Liste all der Preise, auch Veröffentlichungen zusammen mit seiner Frau Monika Helfer, beispielsweise ihr gemeinsames Buch „Der Mensch ist verschieden“.
Obwohl das Schicksal von Menschen stets im Vordergrund des Schaffens von Michael Köhlmeier stand und steht, erschien diesen Sommer mit «Matou» ein fast 1000seitiger Roman, der scheinbar die sieben Leben einer Katze in den Vordergrund stellt. Die Geschichte von Matou, von den Wirren der französischen Revolution bis in die Gegenwart. Die sieben Leben einer Katze, zuerst an der Seite Camille Desmoulins, eines Mitstreiters von Danton während der französischen Revolution, der 1794 auf dem Schafott einen Kopf kürzer gemacht wurde. Im nächsten Leben als Begleiter von E.T.A Hoffmann, der Matou das Schreiben und Lesen beibrachte. Auf der griechischen Katzeninsel Hydra, auf der man allen Katzen den Garaus machen wollte und Matou sein Königreich, seine Diktatur errichtete. Als Grosskatze im Kongo, als Begleiter eines verkrüppelten Mädchens, auf einem grausigen Rachefeldzug gegen den Massenmörder König Leopold II. Während des ersten Weltkriegs in Prag, als Schosstier von Andy Warhol in New York und schlussendlich in seinem letzten Leben unglücklich verwickelt in das schwierige Liebesleben eines schwierigen Zeitgenossen.
Aber „Matou“ ist nicht einfach ein Katzenroman. Glauben sie mir, Katzenbücher mag ich nicht, lese ich nicht. «Matou» ist nur vordergründig die epische Geschichte einer Katze, eines Katers, der kein Mensch sein will, aber wie ein Mensch sein will. «Matou» ist ein Epos, das uns vom Menschsein erzählt, von den Schwächen jener, die die Geschicke dieses Planeten auszumachen scheinen und von Tieren, die wir allzu schnell nur als Nutz- und Kuscheltiere deklarieren. Ein mächtiges Buch, das mäandert, mit Sprache spielt, das fasziniert und mich, das gebe ich zu, während der Lektüre manchmal auch verunsicherte.
Im Gespräch mit Michael Köhlmeier verriet der Schriftsteller, dass er sich oft bei der Arbeit an seinem Tisch im Erdgeschoss seines Hauses mit der Katze hinter dem Laptop fragte, was im Kopf der Katze vor sich gehe. Katzen sind eigenwillig, egozentrisch und launisch, ihr Blick sehr oft misstrauisch und kritisch.
Die Geschichte von den sieben Leben des Katers ist der rote Faden dieser Geschichte. Die Geschichte vom Resümieren des sprechenden, denkenden, lesenden und schreibenden Katers in seinem letzen Leben zwischen Berlin und Wien die Rahmenhandlung. Darüber hinaus ist «Matou» ein Meer von Subgeschichten. So wie die eine von Adenauer und de Gaule, die sich nach dem Krieg immer wieder heimlich treffen und sogar gemeinsam kochen und dabei in Streit geraten.
«Matou» ist auch Ausdruck einer buchgewordenen Schreiblust, eines Autors, der mich als Leser ganz direkt anspricht, der mit Ausdrucksformen, machmal bis ins Typographische spielt, ein Sprachexperiment, wie das Menschsein aus einer Aussenperspektive wahrgenommen werden kann, philosophische Betrachtungen, beispielsweise die über den Irrsinn und den Wahnsinn, eine Betrachtung, die in der Gegenwart nicht wichtiger und dringender sein könnte. Über der Unterschied zwischen «Jemanden lieben» und «Jemanden brauchen». Oder darüber, was Charisma sein könnte oder müsste.
Besuchen Sie die 5. Weinfelder Buchtage!Und dann noch:
Meinen dreifach grossen Respekt zolle ich Katharina Adler:
1. Sie wurde mit ihrer Buchhandlung «Klappentext» in Weinfelden zu einem Epizentrum der Literatur. In einer Zeit, in der an anderenOrten Buchhandlungen schliessen.
2. Sie wagt zusammen mit ihrem Team zum 5. Mal die Durchführung der Weinfelder Buchtage, allen Widrigkeiten der Gegenwart zum Trotz. Und
3. Sie spendiert aus eigener Tasche zum ersten Mal den «Weinfelder Buchpreis», dotiert mit 4000 CHF.
Ich verneige mich!
Beitragsbild © Dominik Anliker