Was trieb Marianne Künzle dazu, einen Roman über den Kräuterpfarrer Johann Künzle zu schreiben? Der gleiche Familienname allein kann es nicht gewesen sein?
Ich wusste von Johann Künzle, dem Namensvetter mit gleichem Heimatort und wurde auf seine kurze Autobiografie aufmerksam. Auf wenigen Seiten skizziert er in seiner letzten Publikation sein Leben und Wirken und wie er zu dem wurde, als den man ihn noch heute kennt. Zwischen diesen wenigen Zeilen, und das machte mich neugierig, glaubte ich einen äusserst ambivalenten Charakter herauszulesen. Da war dieser Jemand, der weiss, was er will, der für Wälder, Blumen und Berge schwärmt, mit einem poltrigem Humor und widerspruchsloser Strenge unzählige Menschen erreicht. Da war diese Stimme aus der Vergangenheit mit verstaubten, zuweilen irritierenden Ansichten. Aber auch absolut modernen: Was ist ein gutes Leben? Welcher Stellenwert hat die Natur? War Johann Künzle tatsächlich so? Oder noch anders, als er sich selber darstellte und dargestellt wurde? Dem Menschen zwischen den Zeilen wollte ich nachspüren.
Johann Künzle war schon damals ein Kämpfer für die zarten Seiten, auch wenn er durchaus wortgewaltig werden konnte. Du warst jahrelang bei Greenpeace tätig. Johann Künzle kämpfte für eine bessere Welt, nicht zuletzt gegen Bevormundung und die Willkür gewinnorientierter Macht. Steckt in diesem Buch auch noch etwas von deinem Kampf?
Wenn ich als Naturheilpraktikerin jahrelang für bessere Zulassungsbedingungen von Heilpflanzen und -methoden gekämpft hätte, steckte direkt etwas von meinem persönlichen Engagment mit im Buch. Bei Greenpeace galt mein Einsatz jedoch einer Landwirtschaft, die ohne Gentechnik und chemisch-synthetische Pestizide auskommt. Meine beruflichen Erfahrungen fanden mit wenigen Ausnahmen also keinen direkten Eingang in den Roman. Aber bestimmt hat mir meine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft die notwendige Motivation und den Durchhaltewillen gegeben, mich vier Jahre lang mit Johann Künzle zu befassen. Er vertrat schon vor über einem Jahrhundert Ansichten, die im jetzigen Zeitalter von Klima- und Ressourcenzerstörung, verursacht durch uns, die wir im Konsumieren Zufriedenheit zu finden glauben, hochaktuell sind und die ich zumindest teilweise teile: er wies auf krankmachende Lebensumstände hin, geisselte übermässigen Konsum, plädierte für einen bescheidenes Leben, appellierte an die Eigenverantwortung und Besinnung aufs Wesentliche. Und er beschrieb auf rührende Art und Weise die Schönheit und den Reichtum der Natur!
Kräuterheilkunde hat nichts an seinem Nischendasein verändert. Hat die Arbeit des Buches etwas mit dir gemacht, mit dir verändert? Legst du erst seit deiner Romanarbeit Wurmfarn gegen Krampfadern in den Beinen in deine Schuhe?
Als «moderner» Mensch, der seinen Alltag meist sitzend verbringt, lege ich nun Farnblätter in die Schuhe, wenn meine Beine schmerzen. Damit verbunden sind regelmässigere Waldexkursionen. Ich kaufe keinen kühlenden Gels mehr ein, sondern finde das Kraut im Wald. Frische Luft, Kopf durchlüften, die Heilpflanze mit nach Hause tragen. Und: die Wirkung von Farn ist verblüffend! Wenn mir etwas fehlt, konsultiere ich, seit ich mit den Recherchen für das Buch begonnen habe, zuerst Johann Künzle’s Schriften. Ich glaube, dass mir die Arbeit an diesem Buch etwas mitgegeben hat: ich kümmere mich mehr um meine Gesundheit. So gut ich kann.
Eine grosse Qualität deines Romans ist, dass Konstruktion, Ton und Sprache des Buches keine Partei ergreifen. Du könntest das Buch sowohl vor Heilpraktikern wie an einem Ärztekongress vorlesen, zumindest Auszüge daraus. Du beschreibst eine Zeit, konträre Haltungen, die sich zu einem Grabenkrieg auswachsen und einen Mann, der immer wieder mit sich selbst zu kämpfen hatte. Ist Johann Künzle „exemplarisch“? Und warum ausgerechnet er? Gehst du mit dieser Figur nicht das Risiko ein, in eine Ecke gedrängt zu werden?
Warum ausgerechnet er? Es wäre schade, wenn Johann Künzle’s Geschichte nicht (noch einmal) erzählt würde! Es gibt wenige, die das Bild von der heilen, gesundmachender Bergwelt, den «Mythos Schweizer Alpen» derart geprägt haben wie der verschrobene Pfarrer mit wallendem Bart und runder Brille.
Besteht nicht die Gefahr, dass man mit einem Roman über Pfarrer Künzle von einem ganz speziellen Publikum als einen der ihren eingenommen werden könnte. Dass du die wirst, die mal über einen Pfarrer schrieb. So wie man als Schauspielerin nicht mit einer Etikette markiert werden will, so vielleicht auch bei Schriftstellerinnen.
Mich hat der Stoff fasziniert. Die Figur, deren Lebensumstände, die Epoche, Parallelen zur heutigen Zeit. Ich glaube, es wäre kein Buch entstanden, wäre da nicht das Feuer entfacht worden, das es brauchte, um diese Geschichte überhaupt erzählen zu können. Für mich war während der Recherchen und dem Schreiben kaum Thema, ob mich ein biographischer Roman über Johann Künzle in eine Ecke drängen könnte, etwa, dass ich von nun an als Künzle-Biografin gelte könnte, oder dass das Buch nur von Leuten gelesen würde, denen Künzle ein Begriff ist. Im Gegensatz zur klassischen Biographie hat ein biographischer Roman das Potential, eine breitere Leserschaft zu erreichen. An Geschichte Interessierte, an Heilpflanzen, an Belletristik, an Debüts …
Auch wenn Zweifel darüber auftauchten, ob ich für ein erstes Buch das richtige Thema gewählt habe, war für mich eigentlich immer klar – das war mein Stoff!
Anmeldung für das Essen zur Lesung unter: 071 410 10 91 oder info@bistro-cartonage.ch