Ein Sommer zwischen Kindsein und Erwachsensein. Vielleicht der letzte Sommer, in dem die Welt als grosses Abenteuer erscheint, sich das Gift unleugbarer Realitäten noch nicht eingefressen hat. „32. August“, ein Sommerbuch, eine Liebeserklärung an die Grosseltern, die einem alles schenken und nichts nehmen.
Leo ist dreizehn und wird von seinen Eltern zu den Grosseltern spediert, in das kleine Haus am Rand des Dorfes, ganz nahe beim Wald, wie so oft im Sommer. Ferientage, auf die sich Leo freut, in einem Haus, das in der Erinnerung des Erzählers alle Geheimnisse des Lebens barg, eine Burg war, behütet von der festen und bestimmten Hand der Grossmutter. Der Erzähler erinnert sich gern, weil die Wochen, jene Wochen in jenem Haus eine Zäsur bedeuteten, in der der sonst meist abwesende Grossvater mit einem Mal eine ganz andere Rolle bekommen sollte, wie in all den Sommern zuvor.
Leo spürt, dass er sich in ein fremdes Land begibt. Das spürte er schon im Jahr zuvor, weil Lilia zu Beginn des Schuljahres neu in die Klasse kam, ein Mädchen mit schwedisch-argentinischen Wurzeln, so ganz anders wie die anderen Mädchen in der Klasse, unerreichbar für sie alle. Bis es Leo kurz vor den Sommerfrien doch noch gelingt, die Zuwendung seiner Angebeteten zu erhaschen und sie sich gegenseitig bezeugen, sich während der langen Sommerferien zu vermissen.
An einem der ersten Tage bei der Grossmutter macht der Grossvater ganz überraschend den Vorschlag, Leo solle ihn auf seinen Touren durchs Land, seiner Arbeit als Vertreter begleiten, er wäre alt genug und sei ihm durchaus eine Hilfe. Leo geht mit, setzt sich in den 190er Mercerdes seines Grossvaters und begleitet ihn, der sonst stets schon unterwegs war, wenn sich Leo aus dem Bett im Gästezimmer schälte und erst zum Abendessen wieder von seinen langen Touren zurückkehrte. Leo erfährt, dass sein Grossvater ein ganz anderer ist, wenn er in seinem Auto unterwegs ist, dass er stets nach ein paar hundert Metern am Strassenrand hält, mit seinem Kamm die Haare nach hinten kämmt, eine Sonnenbrille aufsetzt, eine Zigarette anzündet und Kassetten abspielt, die beim ersten Mal Hören so gar nicht nach Grosseltern klingen; Hank Williams und Billie Holiday. Grossvater fährt mit Leo in die Stadt, von Ort zu Ort, wo man seinen Grossvater überall zu kennen scheint, lernt Monette kennen, eine Frau in engen Kleidern, die so ganz anders ist als Grossmutter, die Grossvater unterwegs nur „Feldwebel“ nennt.
Leos Grossvater liebt Grossmutter, ohne Zweifel. Trotzdem wird Leo mit einem Mal klar, dass es verschiedene Welten gibt, solche, die man voreinander verborgen hält, auch wenn der Vorhang löchrig ist. Grossvater, der auf seinen Fahrten mehr und mehr zu erzählen beginnt, Dinge, von denen Leo bisher keine Ahnung hatte, von den Jahren in Brasilien, wo er unfreiwillig hinkam und länger hängenblieb, als er vorhatte, von den ersten grossen Enttäuschungen seines Lebens, blickt Leo in eine ihm bisher verschlossene Welt, in die Welt der Erwachsenen. In eine Welt, die im Gegensatz zu der der Kinder voller Kompromisse, Lügen und schwarzer Löcher ist.
„32. August“ ist ein leichtfüssiger Roman, der viel verlorene Sehnsucht birgt und trotzdem ohne Sentimentalität erzählt. Ein Buch, dass für einmal Familie nicht bloss zur Grossbaustelle, zum Krisengebiet macht. Wie gerne hätte ich diese Grosseltern gehabt!
Mischa Kopmann wurde 1968 in Celle geboren. Anfang der 2000er gewann er mehrere Literaturpreise, unterbrach dann jedoch sein literarisches Schaffen, um seine Kinder grosszuziehen. Im Osburg Verlag liegen bisher drei Romane vor: «Aquariumtrinker» (2017), «Dorfidioten» (2019), «Haus in Flammen» (2022). Kopmann lebt als Lern- und Begabtenförderer sowie als freier Schriftsteller in Hamburg.
Beitragsbild © Kathrin Brunnhofer