«Unser Leben besteht aus Alltag. Meine Literatur soll den Alltag neu oder mit einer kleinen Verschiebung der Wahrnehmung sehen. Überhaupt ist das eine wesentliche Aufgabe der Kunst; die häufig abgenutzte Wahrnehmung des Alltags rückgängig, den Alltag wahrnehmbarer machen.»
Klaus Merz neuer Gedichtband «Helios Transport» tut genau das. Klaus Merz folgt seiner Spur seit mehr als 50 Jahren, seit seinem ersten Gedichtband «Mit gesammelter Blindheit», der 1967 noch in St. Gallen erschien. Klaus Merz schreibt noch immer gegen Blindheit an, formuliert als Sehender und Beobachter Texte, die einem durchaus die Augen öffnen, den Nebel der Gewohnheit wegreissen können. Die Gedichte in seinem neuen Buch sind Konzentrate. Helios ist der griechische Sonnengott, der den von vier Hengsten gezogenen Sonnenwagen über den Himmel lenkt. Klaus Merz bringt Licht, «transportiert Lasten aller Art» auf seine ganz eigene Weise. Seine Lyrik ist die eines gereiften Mannes, der es versteht, einen Blick hinter das Wesen der Dinge zu werfen, oft nur einen ganz kurzen Blick, dafür entlarvend, in die Tiefe. Seine Gedichte, eines jeden Morgen auswendig gelernt, können dem Tag ein anderes Licht aufsetzen, den Brennpunkt ganz leicht verändern, korrigieren. Blitzlichter in die Gegenwart, manchmal nur drei Zeilen, nicht einmal 10 Wörter lang. Blitze, die Türen öffnen, Kleinstbeobachtungen, die das scheinbare Grau und Einerlei des Alltags mit einem Mal erhellen, in helle Farben tauchen. Substrate, die wie lyrisches Antidepressivum wirken. Texte, die weit entfernt vom online-Gebabbel und reissenden Schlagzeilen über Nichtigkeiten beweisen, was Sprache als Kunst bewirken kann: Glück! Klaus Merz Gedichtband ist ein Manifest des Sehens!
Kind of Blue
Bei Einbruch der Nacht
die Unerschütterlichkeit der Dinge
gewahrend, wandte ich mich
wieder dem Fenster zu:
Da lag noch ein Klang in der Luft
der nur uns Sterblichen galt.
Ein hörbares Blau.
Seit mehr als 20 Jahren erscheinen Klaus Merz Bücher beim Innsbrucker Verlag Haymon, illustriert vom Burgdorfer Künstler Heinz Egger. Über die Jahre muss aus der Zusammenarbeit der beiden Künstler eine Freundschaft geworden sein, spürbar in den wunderschön gestalteten Büchern, die Gesamtkunstwerke geworden sind.
Klaus Merz, geboren 1945 in Aarau, lebt in Unterkulm in der Schweiz. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Hermann-Hesse-Literaturpreis 1997, Gottfried-Keller-Preis 2004, Aargauer Kulturpreis 2005, Werkpreis der schweizerischen Schillerstiftung 2005 sowie zuletzt Rainer-Malkowski-Preis (2016), Basler Lyrikpreis und Friedrich-Hölderlin-Preis (beide 2012).
Klaus Merz liest am Sonntag, den 30. Oktober um 17 Uhr in der Kirche Linsebühl in St. Gallen. Begleitet wird er vom Organisten Rudolf Lutz.
Unterkulm Nord
Mit der Strassenbahn
passieren wir das Verlangen.
Ohne Halt.
(Ich danke dem Verlag für die Erlaubnis, zwei Gedichte zu veröffentlichen!)