Den Anstoss zum Schreiben verdanke ich meiner Lehrerin. Sie sagte den entscheidenden Satz: «Aus dir wird eine Schriftstellerin!“, schreibt Margrit Schriber in ihrer Roman-Biographie. „Was für Glück!“, ruft der Leser jener Lehrerin zu. Margrit Schriber gehört zu den Grossen der Schweizer Literatur. Eine, die für ihren Platz noch immer kämpfen muss.
1984, acht Jahre nach ihrem Debüt „Aussicht gerahmt“, begegnete ich der Autorin zum ersten Mal bei einer Lesung aus ihrem Roman „Muschelgarten“, der Geschichte zweier Frauen, die sich im gegenseitigen Kampf zu Verlierenden und Verlorenen machen. Schon damals machte mir die Autorin nicht nur Eindruck mit ihrem Schreiben, ihrer Sprache und der Kunst Innenlandschaften zu Poesie zu wandeln, sondern mit ihrer Präsenz, ihrer Begeisterung, ihrer Nähe. Seit „Muschelgarten“ bin ich ein steter Leser im Schriber-Kosmos und zusammen mit meinem Literaturzirkel schon bei manchem Anlass der Autorin stiller und machmal auch weniger stiller Teil ihres Fanclubs. Dass sich eine Autorin mit über achtzig Lebensjahren und über einem Dutzend Romanen, vielen Erzählungen und Hörspielen an ein Resümee macht, ist verständlich. Aber „Das Abenteuer, eine Frau zu sein“ setzt ihre Bücher viel mehr als Meilensteine in ein Leben, das stets ein Kampf war gegen Missachtung, Schubladisierung, Erniedrigung und eine überaus männliche Einordnung von Zuständen und scheinbaren Einsichten. Margrit Schriber, 1939 geboren, erzählt ihre Geschichte, die exemplarisch ist für eine Frauengeneration, die es nicht mehr hinnehmen will, dass in Politik, Gesellschaft und Kultur Frauen (oder Nicht-Männer) ein Eigenleben stets in den Dienst der Herrlichkeit zu stellen hatten. Vor 70 Jahren verwarf der rein männliche Souverän der Schweiz das Frauenstimmrecht mit einer Zweidrittelmehrheit. 1971 sollte es klappen, 1990 sogar im Kanton Appenzell Innerrhoden, während in Neuseeland Frauen schon 100 Jahre aktiv mitbestimmen konnten.
„Schreiben war meine Art der Emanzipation.“
Margrit Schriber wuchs in einer Heilerfamilie auf. Für eine Bibel und ein Heilkräuterbuch brauchte es dort kein Bücherregal. Selbst diese Bücher öffnete man erst, wenn es nicht zu vermeiden war. Man hatte einen Mund zum Reden, Augen zum Schauen, Ohren zum Zuhören, einen Kopf zum Denken und Herz und Verstand für Entscheidungen. Das musste reichen. Bücher lenken ab. Margrit Schriber aber wollte schreiben, Welten auftun. Nach der Schule begann sie eine kaufmännische Ausbildung auf einer Bank. Nicht weil es sie gezogen hätte, sondern weil sie nicht wusste, wie sie aus ihrer Sehnsucht einen Beruf machen sollte. Sie heiratete einen adretten Mann, schien sich den geltenden Normen der Gesellschaft zu beugen. Aber im Stillen schrieb sie, auch gegen die verletzenden Kommentare ihres Gemahls. Und als sie eine erste Erzählung der Literaturzeitschrift „Drehpunkt“ einsandte und Hansjörg Schneider urteilte „Die beste Geschichte seit Jahren“, begann eine der erstaunlichsten Schriftstellerinnenkarrieren der Schweizer Literaturgeschichte.
Es gibt zwei Kategorien von Romanen im Schreiben der Autorin: jene, die aus ihrem eigenen Leben, ihrer Biographie entspringen, aber immer nur als Stoff wirken und jene, die sich einer historischen Person, einem Frauenschicksal aus der Vergangenheit annehmen. Was allen Geschichten gemein ist; es sind immer Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nahmen oder es zumindest tapfer versuchten. In allen Romanen gibt Margrit Schriber der Frau jene Stimme, die ihr in ihrer Zeit verwehrt blieb. Margrit Schribers Romane nun aber als Frauenliteratur zu schubladisieren, wird ihrem Schaffen nicht gerecht. So wie all die Frauen in ihren Romanen den Kampf aufnahmen, so nahm die Autorin selbst den Kampf auf, sei es der gegen Vorteile, gegen die Arroganz einer männlich dominierten Kultur- und Literaturlandschaft, sei es der gegen Oberflächlichkeit und Sturheit.
In „Das Abenteuer, eine Frau zu sein“ erzählt Margrit Schriber aber auch von ihren Freundschaften, ihren Reisen, ihren Begegnungen und ihrer grossen Liebe, dem Schreiben. Margrit Schriber nimmt mich mit in ein Leben, das sich in ihren Büchern vielfach spiegelt, in ihr Schreiben, das zum Motor ihres Lebens wurde. „Das Abenteuer, eine Frau zu sein“ erzählt vom nie versiegenden Mut einer Frau, die wahrhaft ihre Stimme im Schreiben fand!
Möge „Das Abenteuer, eine Frau zu sein“ auch jene erreichen, denen der Schriber-Kosmos bisher verwehrt blieb.
Margrit Schriber wurde 1939 als Tochter eines Wunderheilers in Luzern geboren. Sie arbeitete als Bankangestellte, Werbegrafikerin und Fotomodell. Margrit Schriber lebt heute als freie Schriftstellerin in Zofingen und in der französischen Dordogne. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Aargauer Literaturpreis für ihr Gesamtwerk.
Rezension von «Schwestern wie Tag und Nacht» auf literaturblatt.ch
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