Wenn der Schweizer Buchpreis vergeben sein wird, ist eigentlich alles vorbei. Die Spannung weg, die Prognosen, die Diskussionen darüber, wer und welches Buch ihn verdienen würde. Ob wie vorletztes Jahr der schon mehrfach Nominierte den Preis verdiene, ob der oder die Unbekannte einen solchen Preis „wert“ sei. Dieses Jahr ist kein Erstling darunter, dafür Autorinnen und Autoren, die in der Art ihres Schreibens nicht unterschiedlicher sein könnten.
Aber vielleicht doch nicht, doch nicht vorbei? Wenn die Vergabe meiner Genugtuung entspricht, dann werde ich sagen: «Habs doch gewusst», dann ist es vielleicht eine Spur Erleichterung. Wenn die Vergabe mein Unverständnis erntet, dann werde ich noch eine Weile über die verpasste Chance den Kopf schütteln. Jene verpasste Chance, die sich mit der Nominierung dieser fünf Bücher vorsichtig in den Vordergrund zu schieben wagte. Bestimmt nicht, weil dann die immer gleichen Diskussionen wieder aufflammen, die bei einem solch „singularen“ Preis in der Literaturlandschaft Schweiz unvermeidbar sind. Schaffte man es, das Buch und nicht die Autorin oder den Autor dahinter zu prämieren, kein Lebenswerk, sondern dieses eine Buch, das das beste sein soll und es doch niemals ist, höchstens in den Augen und Ohren der fünf Jurymitglieder?
Alles an diesem Preis ist subjektiv, nur die Preissumme nicht.
Als Tomas Tranströmer 2011, vier Jahre vor seinem Tod den Nobelpreis für Literatur erhielt, war er längst nicht der erste Schriftsteller, der für seine Lyrik, seine Gedichte mit der höchsten literarischen Auszeichnung geehrt wurde. Aber als sein Name mit dem Preis in mein Bewusstsein drang und ich seine Gedichte zu lesen begann, war es gleichermassen Offenbarung wie Beschämung, denn erst mit Tomas Tranströmer begann ich wieder Gedichte zu lesen, lagen wieder regelmässig Gedichtbände auf meinem Nachttischchen und steckten solche in der Tasche auf meinen Reisen. Und als Jan Wagner 2015 mit seinem Gedichtband „Regentonnenvariationen“ den Preis der Leipziger Buchmesse gewann und hernach seinen Gedichtband zum Bestseller machte, schienen Gedichte ganz langsam aus ihrem Randdasein in Buchhandlungen und Festivals zu treten, vielleicht erst recht mit dem Paukenschlag in diesem Jahr, als das Nobelpreiskomitee eine für viele (mich eingeschlossen) unbekannte Autorin auf den Literaturthron setzte: Die Amerikanerin Louise Glück.
Wie lange muss es dauern, bis wenigstens unter den nominierten Büchern einmal ein Gedichtband erscheint? Wo steht geschrieben, dass es ein Erzählband sein muss? Ganz sachte brach diese Grenze zweimal. Als Ilma Rakusa schon im zweiten Jahr seit der Lancierung des Schweizer Buchpreises mit „Mehr Meer“ (Erinnerungspassagen) den Buchpreis gewann und 2012, als Peter von Matt mit seinem „Das Kalb vor der Gotthardpost“ (Essays) Preis und Blumen entgegennahm. Die Gedichtlandschaft in der Schweiz ist reich, Perlen gibt es viele, man muss sie nicht suchen.
Gäbe es in der Vergabe des Schweizer Buchpreises Logik, die es aber gar nicht geben darf, dann müsste der Preis eher an eine Frau vergeben werden und an ein Buch, das sich von der Romanform möglichst weit zu entfernen wagt. So prognostiziere ich eine einzige Möglichkeit; Dorothee Elmiger mit „Aus der Zuckerfabrik“. Nicht weil Anna Stern den Preis mit „das alles hier, jetzt.“ nicht verdient hätte, ganz im Gegenteil. Aber weil sich Dorothee Elmiger mit ihrem Buch traut. Sie traut sich, zu verunsichern. Sie will keinen Hunger stillen. Sie will nichts zu Ende bringen. Sie experimentiert mit dem Text, mit ihrem Schreiben, ihrem Forschen, vielleicht sogar mit meiner Reaktion als Leser. „Aus der Zuckerfabrik“ reisst aus der Form, verabschiedet sich aus aller Starre, jedem sicheren Rezept.
Sie muss es sein!