Der Grosse Österreichische Staatspreis ging 2018 an den Schriftsteller Florjan Lipuš. Vor einem Jahr besuchte ich den Schriftsteller in seinem Haus in Südkärnten und begegnete einem bescheidenen Schriftsteller, der in aller Stille für die Sprache, für die Literatur, gegen das Vergessen, gegen seinen Alptraum ankämpft. Unweit von seinem Haus las Florjan Lipuš im slowenischen Kulturverein Trat in Sittersdorf.
Männer mit schwarzen Anzügen und farbigen Krawatten eröffneten die feierliche Lesung im Kulturzentrum der kleinen südkärntner Ortschaft Sittersdorf. Damit ehrte Sittersdorf jenen Schriftsteller zur Verleihung des Österreichischen Staatspreises, ausgerechnet jene Gemeinde, an die Florjan Lipuš nach einem unseeligen Streit seine Ehrenbürgerschaft zurückgegeben hatte.
Jene Gemeinde, deren Gemeinderäte in der ersten Reihe sassen, stimmte 2017 gegen zweisprachige Ortsschilder, deutsch und slowenisch. Jenem Gemeinderat gab Florjan Lipuš nach dieser Verweigerung einer «offenen Zweisprachigkeit» die vor mehr als 20 Jahren verliehene Ehrenbürgerschaft zurück. Florjan Lipuš, der zwar slowenisch spricht und schreibt, aber weit über den slowenischen Sprachraum geschätzt und verehrt wird, weiss, was Ausschluss und Verweigerung von Vielfalt in Kärntens Geschichte ausrichtete. Der Ortstafelstreit in Südkärnten ist ein unleidiges Kapitel in einem seit Generationen schwelenden Sprachenstreit in Südkärnten. In diesem Streit steckt ein tief verwurzeltes Misstrauen der jeweils anderen «Volksgruppe» gegenüber, über Generationen nicht zuletzt von der Politik geschürt, durch Weltkriege bis tief in die Seelen der Landschaft gebrannt, geschossen und eingeschnitten.
Schon vor zwei Jahren war Florjan Lipuš für den Grossen Österreichischen Staatspreis vorgeschlagen, bekam ihn aber nicht. Die Begründung damals: Florjan Lipuš schreibe nicht auf Deutsch. Das sorgte international für Kritik, nicht nur in der Literaturszene. Slowenisch ist eine von mehreren Sprachen in Österreich, eine Diskussion darüber sollte gar nicht erst geführt werden müssen, so der Tenor damals.
So zart die Person des 81jährigen, so kräftig das Schreiben und die Texte des Autors, so unverrückbar und stur die Fronten des Stellvertreterkrieges in den Tälern Südkärntens. So sehr die Geschichten, Romane und Erzählungen des grossen Schriftstellers um Vergebung ringen, mit der Vergangenheit kämpfen, sich in tiefen Verletzlichkeit ereifern, so schwer tut sich die Heimat des Dichters mit seiner Zweisprachigkeit. Ausgerechnet dieses kleine Zeichen, mit dem Vielfalt und Offenheit demonstriert werden könnte, wächst sich im kleinen Dorf südlich der Drau zu einem K(r)ampf aus.
Florjan Lipuš ist die Bescheidenheit in Person. Aber eine Bescheidenheit, die kein Blatt vor den Mund nimmt, die sich einmischt. Mit dem Grossen Österreichischen Staatspreis ist zu hoffen, dass dem Dichter die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird und dass all die Werke, die in Deutsch nicht mehr erhältlich sind, wieder verlegt und gelesen werden.
Wären Ortsschilder-, Sprachen- und Ehrenbürgerstreit nicht Tatsachen, wären sie perfekter Stoff für einen Roman über die oberflächliche Idylle einer wunderschönen Landschaft, freundliche Leute und ein Dorf, über dem die Kirche thront, ein Idyll, dass sich Wirklichkeit und Tatsache entgegenstellt. Wenn es früher die Angst vor Vereinnahmung war, so hat sich heute die Angst nur minimal verlagert, die Angst vor «Kulturverlust» der sarazzinisch, feindlichen Übernahme, der global intellektuellen Verladung, geistiger «Verwüstung». Der Sprachenstreit ist ein Stellvertreterstreit.
Der Saal in Sittersdorf war voll. Ich sass in der hintersten Reihe. Die Texte der Musik waren slowenisch, die Texte, die Florjan Lipuš las, slowenisch. Das einzige, was ich an diesem Abend verstand, waren die übertrieben lauten Lacher und die Klingeltöne in den Taschen der Alten. Ich verstand kein Wort. Macht nichts. Ich verstehe Florjan Lipuš auch sonst. Ich war da, weil ich dem Autor die Ehre erweisen wollte, weil da ein Grosser las!
Auszug aus der Begründung des Kunstsenats des Grossen Österreichischen Staatspreises: «Florjan Lipuš, der 1937 als Sohn einer Magd in Lobnig oberhalb von Bad Eisenkappel/Zelezna kapla geboren wurde, ist ein Kärntner Schriftsteller slowenischer Sprache, der bereits 1981 mit seinem von Peter Handke und Helga Mracnikar ins Deutsche übersetzten Roman «Der Zögling Tjaž» in der internationalen Literaturwelt großes Aufsehen erregt hat. Im «Zögling Tjaž» ist sein gesamtes erzählerisches Opus thematisch angelegt, das er in zahlreichen Romanen und Erzählungen weiterentwickelt und entfaltet hat. Lipuš behandelt in seiner Literatur den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Vertreibung und Ermordung der Kärntner Slowenen, die Geringschätzung der slowenischen Minderheit durch die Mehrheitsbevölkerung, aber auch die Rettung der schwindenden Welt slowenischer Wörter und Wendungen als Grundlage einer neuen selbstbewussten Identität.»
Rezension von «Seelenruhig» auf literaturblatt.ch
Beitragsbild © Marko Lipus