Bastard, Chipo, Godknows, Sbho, Stina und Darling ziehen durch eine der unzähligen Blechhüttensiedlungen Simbabwes. Die Kinder, nicht älter als 12, sind sich selbst überlassen, verlassen von Vätern, die spielen oder ihr Glück im Ausland versuchen, vergessen von Müttern, die stumpf wurden in der Sorge ums Überleben. ‹Paradies› heisst die Siedlung der Vertriebenen, Gestrandeten und Gescheiterten, eine Siedlung im Nichts, permanent bedroht, nicht zuletzt von der Willkür des Staates oder der Wut des Mobs.
Weil die einzige Regel dieses Literaturzirkels ist, dass niemand in der Runde das Buch bereits gelesen haben soll, las ich dieses Buch, das sonst wohl leider an mir vorbeigegangen wäre – und bin tief beendruckt!
Paradies; Was für die Erwachsenen Endstation aller Hoffnungen ist, ist für die Kinder trotz permanentem Hunger alles, was sie besitzen; «Wir sind zusammen, und wir sind zu Hause, und alles ist süsser als Nachtisch.» Sie verlassen für Streifzüge die Siedlung, ziehen durch benachbarte Gegenden, die ihnen wie fremde Erdteile erscheinen, plündern Gärten, versuchen in der Gruppe wenigstens die Mägen zu füllen. Schulen gibt es keine mehr, weil die nicht bezahlten Lehrer längst das Weite suchten. Und die Hilfe der NGOs ist ein Hohn, denn sie verschenken Plastikgewehre und Süssigkeiten. Bei den wirklichen Problemen sind die Kinder ganz auf sich selbst zurückgeworfen, erst recht mit Chipo, so alt wie sie, schwanger, stumm, traumatisiert durch die Vergewaltigung in der eigenen Familie, rätselhaft für die Kindergruppe, die helfen will, sich verliert in Spekulationen, wie das Kind in den Bauch gekommen sein soll und sich in eine Beinahe-Katastrophe hineinmanövriert. Alles ausserhalb von Paradies ist «ausserirdisch», Häuser, Strassen und Menschen genauso wie das Geschehen am und im eigenen Körper. Das Leben der Kinder ist losgelassen, bloss Reaktion auf Bedürfnisse. Die junge Autorin NoViolet Bulawayo erzählt aus einer Kindheit wie der ihren, einem scheinbar verlorenen Leben in den Slums, vergessen von einer desillusionierten, resignierten Mutter und einem aus Südafrika zurückgekehrten und an Aids erkrankten Vater. Paradies ist eine Welt, in der die Kinder gemeinsam überleben lernen, nicht im Ort zuhause, sondern in den Gemeinsamkeiten, der Gemeinschaft, der Freundschaft.
Aber Darling wird herausgerissen zu Verwandten in den USA. Was von Aussen wie eine Rettung erscheint, ist schlussendlich die Vertreibung aus dem Paradies. Darling bleibt Flüchtling, bleibt fremd in einem Land, dass sie als Geflohene in die Illegalität drängt, nie ankommen lässt.
«Wir brauchen neue Namen» ist ein Buch, das mich zweifelnd zurücklässt, ein Buch, das schmerzt, nichts beschönt und angesichts der Kraft, die aus dem Roman spricht, mehr als nur nagt angesichts der Massen, die in Bewegung sind! «Wir brauchen neue Namen» beschreibt die Willkür und den Zerfall in Simbabwe nach der Befreiung «von der weissen Herrschaft», zeigt aber gleichzeitig das Elend des Fliehens, das Unverständnis der Zurückgebliebenen und die Scham, es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht übers Kloputzen – Scheissjobs hinaus geschafft zu haben. Das Dilemma des Vertriebenen und Geflohenen und nie Angekommenen, von niemandem Willkommenen. Es genügt längst nicht ein Mensch zu sein!
NoViolet Bulawayo, geboren 1981 in Simbabwe, zog im Alter von achtzehn Jahren in die Vereinigten Staaten. 2011 gewann sie den Caine Prize for African Writing. Ihr Romandebüt «Wir brauchen neue Namen» ist ein weltweiter Erfolg. NoViolet Bulawayo heisst eigentlich Elizabeth Zandile Tshele und lebte bis zum 18. Lebensjahr in Bulawayo in Simbabwe. Ihren Namen wählte sie sich in Erinnerung an die Stadt, in der sie aufwuchs, und an ihre Mutter: „Mit Mutter zu Hause“.
NoViolet Bulawayo über «Wir brauchen neue Namen» (Video)
Aufs nächste Mal lesen wir wieder ein vielversprechendes Buch: