«Wenn wir uns trennen, bleiben wir uns.» Ein Satz aus «Zündels Abgang» von Markus Werner steht als Zitat dem Roman vorangeschrieben. Dieser eine Satz ist der Geist des Romans. Auch wenn es vordergründig die Geschichte eines Mannes ist, der seine Frau, seine Familie im Stich lässt, ist es die Geschichte einer Liebe.
Peter Stamm ist Spaziergänger, Geher, ein Umherzieher, einer mit Papier und Stift, der morgens weggeht von seinem Zuhause. Da braucht es nur wenig, um sich vorzustellen, eben nicht nach Hause zurückzukehren. Sonst sei er nicht aufgeregt, aber an diesem Abend schon, genau zweimal auf seiner Lesereise; in seinem Dorf (Weinfelden), in dem er aufwuchs und in Winterthur, wo er mit seiner Familie lebt und man ihn als Peter Stamm kennt.
Sein Roman ist weder Gesellschaftskritik noch Sozialdrama, will weder Meinung noch Absicht einschieben. Als Spaziergänger ist er der Beobachter in der Tradition vieler anderer Autoren, nicht zuletzt der des grossen Spaziergängers Robert Walser. Er ist ein Schreiber nach innen, so wie die Blicke Astrids und Thomas in seinem Roman auch gegen innen gerichtet sind. Er malt so lange mit kühlen Farben, so genau bis in die Schatten, dass das Bild löchrig wird, die wohl komponierten Bilder und Personen Risse bekommen, zu zerfallen drohen. Auch die Landschaften sind der Idylle entglitten, immer in den Randzonen der Zivilisation, in Lederschuhen oder mit einem neuen Rucksack voller Eingeschweisstem durch den Wald. Die Geschichte von einem, der aufbricht, nicht nur auf den Weg geht, weg geht, aufbricht aus seinem eingeschlossenen Innern. Ein Bruch mit allem Gewohnten, dem Warmen, auch der verlorenen Liebe, die irgendwie noch vorhanden ist, aber nicht mehr so, wie sie sein sollte. Astrid, seine Frau, ist genauso eingeschlossen durch Gewohnheit und den Trott des Lebens, die Liebe ohne Leidenschaft, sie die Vernünftige, die Besonnene, die Mutter von zwei Kindern, verunsichert darüber, ob sich nicht schon lange fremdes Leben einschlich, das man schlummernd mit sich herumtrug. Unaufgeregte Leben, die zum Aufbruch kommen.
«Verwöhnt» durch Literatur, die zu viel erklärt, ist «Weit übers Land» ein Roman, der vieles offen lässt, sich vor Erklärungen hütet. Auch das Leben erkläre nichts und sei kompliziert genug. Durch das Gehen, das Weggehen, bleibt die Welt wie sie ist, der Moment vor der Trennung wie eingefroren. «Wenn wir uns trennen bleiben wir uns.»
Organisiert wurde die Lesung mit Peter Stamm von der «Literarischen Vereinigung Winterthur», die im Jahr 2017 ihren 100. Geburtstag feiern wird. Die Moderatorin des Abends Barbara Tribelhorn versprach für das Jubiläumsjahr literarische Hochgenüsse in der Stadt. Ich freue mich.
Peter Stamm «Weit übers Land», S. Fischer Verlag, Webseite des Autors
Webseite der Literarischen Vereinigung Winterthur