Es ist ganz leicht, in den Wind zu sprechen, das Falsche zu sagen, sich ins Moos zu wühlen, zwischen Flechten auf dem kargen Stein jenseits der Baumgrenze verblassen zu wollen.
Sie fährt weg, hinauf, mit der Absicht, sich zu entfernen. Hinauf in die Berge, in einen Berggasthof hoch oben, in ein kleines Zimmer, nur mit dem Allernötigsten. Um sich eine Pause zu geben. Vielleicht um Klarheit zu schaffen, denn unten im Tal, dort, wo sich sonst ihr Leben abspielt, ist ein Mann, den sie liebt, dem sie einen langen Brief schreibt, manchmal am Tisch in der Nähe der Gäste im Gasthof, manchmal auf dem Zimmer, manchmal unterwegs. Einen Brief, in dem sie viel mehr schreibt, als das, was sie sich erhofft. In dem sie schreibt, wovor sie sich fürchtet, vor dem Grossen und dem Kleinen, vor all dem Unumkehrbaren, vor dem sich die meisten verschliessen, wenn sie den Gesprächen im Gasthof lauscht, wenn sie sich losschreibt, von all dem, was sich in ihren Kopf zwängt, all die Nichtig- und Oberflächlichkeiten, mit denen wir uns zutexten, mit denen wir über- und zudecken, was mit Grossbuchstaben geschrieben werden müsste.
Ein Brief voller Hoffnungen, ein Brief, den sie nicht abschicken wird, der alles sagt und doch das letzte nicht ausspricht. Die Hoffnung, der Mann im Tal würde seine Sachen packen, würde erkennen, dass sie ihn braucht, dass sie ihn jetzt braucht, wie sehr sie sich wünscht, er würde losfahren und zu ihr kommen. Sie erzählt von ihm, wie er ihr in Nachrichten mitzuteilen versucht, wie leicht der Schritt doch ist aus all den Dingen, die sie nicht aufhalten kann, die sich an sie heften, von denen sie sich nicht befreien kann. Sie glaubt nicht, dass es Auszeit gibt, einen Fluchtplan, dass man alles weglegen kann, selbst das wenige, das sie mit ins Tal nimmt, auch wenn sie die Versuchung spürt, dieses Allerletzte zurückzulassen.

„Litanei der Leichtigkeit, in der du-“ ist ein leidenschaftlicher Text über das Verlorensein, über die Sehnsucht nach Sicherheiten, ein Zwiegespräch mit sich selbst, mit dem Wind, dem weiten Blick über das Tal. Ein Versuch des Verortens, weil die Erzählerin spürt, dass sie abgetrennt von dem ist, mit dem sie sich doch so verbunden fühlt. Ein Erklärungsversuch all jenen gegenüber, die glauben, man müsse sich bloss ein bisschen schütteln, ein bisschen zusammenreissen, ein bisschen besinnen.
Dieses kleine gelbe Büchlein ist der perfekte Begleiter auf einer Reise. Nicht bloss auf die Reisen weg, sondern auch auf die Reisen hin. Es passt in jede Tasche, als Einladung in ein Tagebuch, als Sehhilfe neben das Bündel Fahrkarten, in die Brusttasche ganz nah beim Herzen, dort wo man den Puls nur noch hört, wenn man unter der Wasserlinie in der Badewanne liegt. „Litanei der Leichtigkeit, in der du-“ von Romina Nikolić ist ein Kleinod aus einer ganzen Reihe literarischer Marksteine unter dem Titel „Schöner Lesen“, herausgegeben von Sofie Lichtenstein und Moritz Müller-Schwefe.
Romina Nikolić, geb. 1985 in Suhl, wuchs in Schönbrunn/Thür. auf, studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Seit 2009 neben der eigenen schriftstellerischen Tätigkeit Organisatorin von Lesereihen und diversen literarischen Projekten, u. a. als freie Mitarbeiterin bei der Literarischen Gesellschaft Thüringen oder Mitbegründerin von Love Crime Books, einem Independent-Label für Fanfiction-Anthologien. Zweifache Preisträgerin beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen, Walter-Dexel-Stipendiatin der Stadt Jena. Lebt als Projektmanagerin, Lyrikerin und Herausgeberin in Jena.
Romina Nikolić «Bredolsky», Plattform Gegenzauber
Beitragsbild © Yves Noir

Gasttext von Valentina D. Bischof