«Ein Blick in extreme Zeiten»
Dem aus Süddeutschland stammenden Autor P. B.W. Klemann gelang ein lesenswertes Debüt aus der Perspektive eines Pfarrersohns im 17. Jahrhundert, mit dem er die Lesenden in die Welt des Dreißigjährigen Krieges in einem gewinnenden Erzählton zu verführen vermochte. Zu diesem Buch mit Kulissen von Süddeutschland, dem Bodensee und der Schweiz gibt der Autor Auskunft.
Urs Heinz Aerni: Es ist Ihr erster großer Roman, obwohl Sie schon länger am Schreiben sind. Wie viel Mut braucht es, das Vollbrachte der Welt zu übergeben?
P.B.W. Klemann: Ich habe mit 25 Jahren angefangen regelmäßig zu schreiben. Vier Bücher habe ich angefangen und keines zu Ende gebracht oder mich getraut eines zur Veröffentlichung anzubieten. Ich glaube, wenn einem ständig Geschichten im Kopf herum spuken, man von Abenteuern und Charakteren träumt, seine eigenen Welten erschafft und darin Zeit verbringt, beginnt man notwendigerweise mit dem Schreiben, und somit notwendigerweise mit dem Verfassen eines Romans, ohne dass dazu Mut erforderlich wäre.
Aerni: Aber Mut…
Klemann: Mut braucht es dann, wenn es darum geht, sein Geschaffenes auch zu präsentieren. Für mich lag darin die eigentliche Hürde.
Wie würden Sie die Ursuppe bezeichnen, aus der Ihr Buch entstanden ist?
Vor allem die Lektüre des Schriftstellers Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen und seiner „Simplizissimus-Trilogie“ hat mich inspiriert. Ich fand alle Bücher großartig, und die Vorstellung, dass ich einen Menschen lese, der tatsächlich den Krieg miterlebt und sogar darin gekämpft hat, fand ich insbesondere faszinierend. Bemerkenswert fand ich zudem, dass, obwohl selbst Trossjunge und Soldat, und er zweifellos bei manchem Kampf dabei gewesen sein muss, Grimmelshausen nur sehr indirekt über Kämpfe und Schlachten schreibt. Überhaupt wird der ganze Schrecken – und dieser muss ungeheuer gewesen sein – mit Ironie und Witz stets auf Distanz gehalten und selten, wenn überhaupt, wird ein Einblick in die wirklichen Empfindungen der Charaktere gewährt. Und eben dies war es auch, was ich in meinem Buch anders haben wollte, ein möglicher Blick in die Empfindungswelt während so harten und extremen Zeiten.
Wir kennen und lieben die Romane wie «Name der Rose» von Umberto Eco oder «Der blaue Stein» von Gilbert Ginoué oder «Das Parfum» von Patrick Süskind. Sie erzählen uns eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Warum?
Auch durch die Lektüre der Bücher von Grimmelshausens brachten mich in diese Zeit. Nachdem ich ihn gelesen hatte, recherchierte ich ein wenig über den Dreißigjährigen Krieg, und war ganz erstaunt, wie wenig ich darüber wusste, obwohl er so verheerend für Deutschland – oder was man damals die «Teutschen Lande» nannte – war, so riesigen Einfluss auf unsere Geschichte hatte und so sehr in Kultur und Sprachgebrauch eingegangen ist. Noch heute finden sich seine Spuren überall.
Die uns gar nicht bewusst zu sein scheinen.
Richtig. Dennoch gibt es erstaunlich wenig Unterhaltungs-Bücher oder Filme über das, was man heute «die Frühe Neuzeit» nennt. Über das Mittelalter, die Wikingerzeit, die Antike, oder über spätere Epochen, das viktorianische England, den ersten und zweiten Weltkrieg, darüber gibt es unzählige wunderbare Geschichten, doch über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, so zumindest mein Empfinden, recht wenig. Auch deshalb wollte ich mich dieser Zeit widmen.
Das Recherchieren ist das Eine. Das Andere ist das Schreiben. Wie lange saßen Sie denn an diesem Projekt?
Ich habe dreieinhalb Jahre lang an «Rosenegg» geschrieben. Im ersten Jahr gerade einmal 80 Seiten, da ich hauptsächlich Recherche betrieb.
Wie nahe bewegen Sie beim Erzählen bei tatsächlich gelebten Menschen?
Die Hauptpersonen Kaspar Geißler und der Graf von Rosenegg sind fiktive Gestalten, ebenso alle Räuber und die Soldaten der späteren «Compania». Auch David von Schellenberg ist erdacht. Die meisten übrigen Gestalten sind wirkliche historische Personen, beziehungsweise Interpretationen von ihnen meinerseits. Besonders am Herzen lag mir die Darstellung von René Descartes – wohl auch, weil ich Philosophie studiert habe – , der bei dem Feldzug von 1620 zwar dabei war, über dessen Erlebnisse es jedoch keinerlei Zeugnisse gibt.
P.B.W. Klemann wurde 1981 in Singen unter der Festung Hohentwiel geboren. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Bohlingen. Der Autor hat an der Universität Konstanz Philosophie und Mathematik studiert. Seine erste Veröffentlichung war seine Abschlussarbeit zu Marc Aurel und der Stoa, die einen Universitätspreis erhielt. Es folgten Bücher im Bereich der Reiseliteratur sowie journalistische Arbeiten rund um Geschichte und Philosophie. Heute arbeitet er als Verlagsleitung und ist freier Drehbuchautor und Schriftsteller. Rosenegg ist somit nicht ganz ein Debüt aber Klemanns erster historischer Roman.