Der erste Jahrgang bei den Nominierten zum Schweizer Buchpreis 2008 war ein aussergewöhnlich starker Jahrgang mit klingenden Namen, faszinierenden Büchern und einer frischen Stimme mit einem Erstling: Anja Jardine mit «Als der Mond vom Himmel fiel», Adolf Muschg «Kinderhochzeit», Peter Stamm «Wir fliegen», Lukas Bärfuss «Hundert Tage» und Rolf Lappert mit «Nach Hause schwimmen».
Damals hiess der erste Gewinner Rolf Lappert. Sein preisgekrönter Roman erzählt die Geschichte von Wilbur. «Wilbur ist kein Glückskind. Ohne Eltern bei der Grossmutter aufgewachsen, die verstirbt und mit einem besten Freund, der in einer Erziehungsanstalt lebt, bleibt Wilbur ein Verlierer. Erst die charmante Aimee bringt ihm etwas anderes bei. Wilbur muss endlich lernen zu leben – ob er will oder nicht.»
Seit sich der Preisträger 2016 mit seinem Roman «Über den Winter» für eine Wohnzimmerlesung in Amriswil gewinnen liess, verbindet uns mehr als Literatur.
Ein Interview:
Rolf Lappert, sie waren mit dem Roman »Nach Hause schwimmen« der erste Träger des Schweizer Buchpreises. Was hat dieser Preis mit Ihnen und Ihrem Schreiben gemacht? Wäre Rolf Lappert heute an einem anderen »Ort«, wenn er den Preis damals nicht erhalten hätte?
Preise dieser Art sind, abgesehen von der Wertschätzung, die Autorin/Autor und Buch erfahren, vor allem eines: Werbung. Und zwar sehr effektive Werbung. »Nach Hause schwimmen« stand kurz nach der Preisvergabe auf Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste; das hätte das Buch vermutlich ohne den Preis nicht geschafft. Neben der Anerkennung und dem Preisgeld ist es also vor allem die öffentliche Wahrnehmung, die der Preis mit sich bringt.
Mich als Autor hat der Preis nicht verändert. Er hat mir Selbstbewusstsein beschert, das natürlich, aber er hatte nicht den Effekt, dass ich mich ab sofort auf das Schreiben von Romanen spezialisierte, die möglichst ähnlich wie »Nach Hause schwimmen« sind. Der Roman »Auf den Inseln des letzten Lichts« war dann auch etwas ganz anderes, nämlich eine Art Mischung aus Familien- und Abenteuerroman mit Schauplätzen in Irland und auf den Philippinen. Dann kam das Jugendbuch »Pampa Blues« und 2015 der Roman »Über den Winter«, der erneut die Erwartungshaltungen der Leserschaft unterlief. Am ehesten in die sprachlich-stilistische Nähe von »Nach Hause schwimmen« kommt wahrscheinlich mein in Arbeit befindlicher Roman, in dem ich wieder mit vielen Figuren, Schauplätzen und Handlungssträngen jongliere und eine fast schon epische Geschichte erzähle. Auf jeden Fall wird dieser Roman mein bisher umfangreichster.
Damals wie heute erhält der Preisträger neben Blumen, netten Worten, Komplimenten, viel Aufmerksamkeit in den Medien, zumindest für eine gewisse Zeit, 30000 Franken. Das ist für die einen sehr viel Geld, für andere ein nettes Zubrot. Was ermöglicht ein solcher Preis, eine solche Summe im Leben eines Schriftstellers?
Dreissigtausend Franken sind natürlich mehr als ein nettes Zubrot, jedenfalls für mich. Man muss aber auch die Tatsache erwähnen, dass davon ca. zehntausend Franken an Steuern entfallen. Ein halbes Jahr lässt sich mit der Summe jedoch schon leben, im Sparmodus auch etwas länger.
Die Verlage reichen die Bücher oder Manuskripte an die Jury des Buchpreises ein. Ganz bestimmt in Rücksprache mit Autorin oder Autor. Wenn man aber wie Sie dann eines Tages die Mitteilung erhält, dass man in der Runde der fünf letzten ist, in der ominösen Shortlist, was geschieht dann mit einem Auserwählten?
Man freut sich selbstverständlich. Mehr löste die Nachricht bei mir nicht aus. Man überlegt sich natürlich, ob man Chancen auf den Gewinn des Preises hat, aber das ist reine Zeitverschwendung, denn in die Köpfe der Jurys zu blicken, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hatte mit Lukas Bärfuss und seinem Roman »Hundert Tage« veritable Konkurrenz und bin ohne allzu grosse Erwartungen nach Basel zur Preisverleihungsfeier gefahren.
Kein anderer Literaturpreis in der Schweiz geniesst derart viel mediale Aufmerksamkeit. Das war und ist Absicht. Aus genau diesem Grund wurde der Preis initiiert. Eigentlich genau das Gegenteil davon, was das Leben eines Schriftstellers sonst dominiert. Klar gab es in der Vergangenheit Schreibende, die mit ihrer Unnahbarkeit kokettierten. Aber heute scheint es immer wichtiger zu sein, sich auf das Spiel mit den Medien einzulassen, zumal der Berufsstand in vieler Augen noch immer moralische Instanz ist. Tun Sie sich schwer damit?
Ich engagiere mich privat politisch, in meinen Büchern jedoch kaum. Es gibt viele politisch schreibende Autorinnen und Autoren, die können das besser als ich. Ich sehe mich als Geschichtenerzähler – wenn in einem meiner Bücher eine politische Komponente auftaucht: gut, aber Botschaften sucht man darin vergeblich, Haltungen vielleicht schon eher.
Dass man mit den Medien umgehen und ich ein Stück weit mitspielen muss, ist eine Begleiterscheinung in unserem Beruf, und solange man die richtige Balance zwischen Selbstvermarktung und Privatsphärenwahrung findet, ist das alles gut auszuhalten.
Traditionell sitzen alle Nominierten bei der alljährlichen Preisverleihung im Theater Basel anlässlich der BuchBasel in der ersten Reihe nebeneinander. Liest man die Bücher seiner KontrahentInnen? Gibt es eine »Gruppendynamik«, die mit der Verkündung des Preises augenblicklich verpufft?
Ich lese einiges an zeitgenössischer Literatur, natürlich auch an deutschsprachiger. Einige der Bücher meiner jeweiligen Mitnominierten lese ich, aber nicht alle. Sollte ich mit einem Roman nochmals auf eine Shortlist kommen, werde ich den Veranstaltern vorschlagen, dass alle Endrundenteilnehmerinnen und -teilnehmer die Bücher ihrer Kolleginnen und Kollegen erhalten, damit sie wissen, was die »Konkurrenz« geschrieben hat.
Eine gewisse Gruppendynamik entsteht durchaus, aber die Zeit, die man gemeinsam verbringt, ist so beschränkt, dass zwischenmenschlich kaum mehr passiert als z. B. während eines Literaturfestivals, bei dem man sich trifft und austauscht. Die meisten Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die ich kenne, sind dem Wesen nach Einzelgängerinnen und Einzelgänger – enge Freundschaften und regelmässige Kontakte sind da eher selten. Diese Frage kann ich aber nur für mich beantworten; vielleicht ist meine Einschätzung auch unzutreffend. Bei mir ist es so, dass ich mit etwa mit einem halben Dutzend Kolleginnen und Kollegen in stetigem Kontakt stehe, wobei unter »stetigem Kontakt« gelegentliche Treffen, Telefonate und E-Mail-Austausch zu verstehen ist. Letztendlich ist es ein einsamer Job, denn am Schreibtisch ist man auf sich alleine gestellt.
Einst lernten Sie Grafiker, in einer Zeit, in der man für diese Arbeit noch Stifte in die Hand nahm und Papier brauchte. Mischt sich der Grafiker heute noch in Ihre Arbeit ein, ist das Buch doch für viele ein Relikt längst vergangener Zeit?
Ein schön gemachtes Buch in den Händen zu halten, ist für mich immer ein wunderbar sinnliches Erlebnis, das durch nichts zu ersetzen ist, ganz bestimmt nicht durch einen e-reader. Zugegeben, diese elektronischen Geräte sind praktisch und in manchen Situationen einem Buch oder Papierstapel vorzuziehen, aber es geht nichts über das Gefühl, ein gebundenes Buch vor sich zu haben, darin zu blättern und es nach der Lektüre in seiner Bibliothek zu wissen.
2018 erhielt Peter Stamm den Schweizer Buchpreis für seinen Roman »Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt«. Für viele war es schlicht Zeit, Peter Stamm den Preis zu geben. Ich fand seinen Roman absolut preiswürdig. Auch wenn die Frage eigentlich gar nicht zum Preis passt, und man ihn ja schliesslich für »ein herausragendes Werk« bekommt und nicht für ein Lebenswerk – wen würden Sie krönen?
Für ein Lebenswerk? Vladimir Nabokov. Philip Roth. Anne Tyler. Urs Widmer. Paul Auster. Wenn ich noch länger nachdenken würde, kämen noch etliche Namen dazu.
Ganz ehrlich: Was geschah mit der ausgestellten Urkunde?
Einige davon habe ich eingerahmt und in meinem Arbeitszimmer an die Wand gehängt. Das geschah einerseits aus Eitelkeit und Stolz und andererseits aus dem Bedürfnis, die Preisstifter und Jurys zu würdigen, die Geld und Zeit in die Vergabe der Preise investiert haben. Und: Die Urkunden sind recht schön anzusehen und sind ein steter Ansporn, gute Bücher zu schreiben.
Rolf Lappert wurde 1958 in Zürich geboren und lebt in der Schweiz. Er absolvierte eine Ausbildung zum Grafiker, war später Mitbegründer eines Jazz-Clubs und arbeitete zwischen 1996 und 2004 als Drehbuchautor. Bei Hanser erschien zuletzt «Pampa Blues» 2012, mit dem er den Jugendbuchpreis Goldene Leslie gewann und «Über den Winter» 2015, der im gleichen Jahr in der Shortlist zum Deutschen Buchpreis stand.