Seit Juni 2016 brettern Züge durch den neuen Neat Basistunnel, einem Jahrhundertbauwerk durch den Alpenriegel, genau wie vor 130 Jahren der Eisenbahntunnel. Höchstleistungen, Pioniergeist, ungebrochener Glaube an Machbarkeit und Technik, Beharrlichkeit und Muskelkraft, früher wie heute. Aber vor 100 Jahren hatte auch der Ingenieur Pietro Caminada eine gigantische Idee: einen Kanal über die Alpen, der Nordsee und Mittelmeer miteinander verbinden sollte.
Anita Siegfried erzählt in ihrem neuen Roman «Steigende Pegel» nicht nur die wechselvolle Lebensgeschichte des umtriebigen Ingenieurs Pietro Caminada nach, sondern verwebt geschickt Fakten und Fiktion. Ein Teil des Romans beschreibt eine Schifffahrt durch das Kanal-, Tunnel- und Schleusensystem. Ein anderes erzählt von dem, was nach dem Einbruch und dem Vergessen des umgesetzten Projekts übrig geblieben ist. Er versetzt mich in die Welt des «Was-wäre-wenn». Wirklich übrig geblieben ist, gemessen an seinen Ideen, nicht viel, ausser einem Strassennamen in einem Aussenbezirk Roms, einigen Bauwerken in Rio und einer Unzahl von städtebaulichen Visionen und Plänen. So entwarf Pietro Caminada schon 60 Jahre vor Baubeginn Pläne für die neue Hauptstadt Brasilia.
Alles andere in den Schatten stellend ist Caminadas Plan einer Wasserstrasse über den Splügen. Der gesamte Wasserweg hätte zwischen Genua und Basel 591 km betragen, 230 km auf Seen und Flüssen, 30 km in doppelten Galerien, 43 km in Röhrensystemen und der Rest in offenen Kanälen. Doch obwohl man Projekt und Ingenieur mit viel Zustimmung und Anerkennung begegnete, wurde das Projekt wohl hauptsächlich aus Geldmangel nie umgesetzt. Nicht zuletzt waren es aber Kriege, die eine Umsetzung verunmöglichten.
Anita Siegfried begleitet den Ingenieur Pietro Caminada zusammen mit seiner Familie bis ins hohe Alter, bis in jene Zeit, als Schwarzhemden in einem faschistischen Italien seine Ideen gänzlich entfremdeten.
Schön, dass mit Anita Siegfrieds Roman «Steigende Pegel» ein Buch des Verlegers Ricco Bilger den Weg ans Literaturfestival Leukerbad findet, einem Bücherfest, das mit Rico Bilger begann. (Homepage Literaturfestival Leukerbad)
Anita Siegfried studierte Archäologie und Kunstgeschichte in Zürich. Auslandaufenthalte nach dem Studium führten sie u.a als Stipenditatin des Istituto Svizzero nach Rom. Später arbeitete sie für ein Projekt des Schweizerischen Nationalfonds und bei der Kantonsarchäologie Zürich. Seit 1994 ist sie freischaffende Autorin. Es entstanden zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, Hörfolgen und drei Romane. Die Autorin lebt in Zürich.
Anita Siegfried ist Gast am Literaturfestival in Leukerbad.