Schauspielerinnen und Schauspieler, die irgendwann mit dem Schreiben beginnen, gibt es viele. Aber nur ganz selten genügt das Buch auch einem literarischen Anspruch. Auch wenn der überaus erfolgreiche Schauspieler Jörg Hartmann „noch mitten im Leben steht“, ist sein Romandebüt „Der Lärm des Lebens“ zum einen ein Resümee, zum andern eine durchaus pointierte Auseinandersetzung mit den letzten fünf Jahrzehnten deutscher Geschichte.
Mitten in der endlosen Diskussion darüber, wie sehr sich in der Literatur die Fiktion der Geschichte, den (scheinbaren) Fakten bedienen kann, ist eine Auseinandersetzung eines Mannes mit seinem Leben, seinen Nächsten, ganz erfrischend. Auch wenn da im Schreiben ganz unweigerlich die eine oder andere Portion Fiktion in sein Buch hineinrutscht (Das tun alle, wenn sie ihre Geschichte nacherzählen), dreht sich der Roman ganz persönlich um die Frage, was denn wirklich wichtig ist im Leben. Bin ich der, der ich sein soll? Bin ich so, wie ich sein soll? Und bin ich dort, wo ich sein soll?
Jörg Hartmann wächst im Ruhrpott auf, in der Kleinstadt Herdecke, unweit von Dortmund. Und genau davon erzählt Jörg Hartmann in seinem Buch. Ursprung seines Schreibens war die Demenz und der Tod seines Vaters. Das erlebte Wissen darum, wie viele Erinnerungen mit dem Tod eines Menschen unwiederbringlich verloren gehen. Nicht nur jene des Vaters, sondern all jene in der langen Kette davor. Was man alles versäumt hat oder hätte anders machen müssen oder sollen. „Der Lärm des Lebens“ ist eine Reise, jene durch die Kindheit des Erzählers, vom drängenden Wunsch, Schauspieler zu werden, von den vielen Versuchen, sich als Schauspielschüler genau dorthin zu begeben, wo die Epizentren des deutschen Schauspiels zu erobern sind, von den Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, stets dort zu fehlen, wo es als Mann, Vater oder Sohn nötig wäre, wirklich da zu sein.
Man rät ihm, dem Schauspieler: „Tu immer nur das, was du verantworten kannst.“ Ein Rat, der ihm in der Art und Weise seines künstlerischen Schaffens zur Maxime wird. Ein Rat, der ihm in seinem Familienleben seine Grenzen zeigt. Eine Tatsache, die all jene kennen, die ihre Lebenszeit an mehrere Pflichten aufzuteilen haben; Familie, Ehe, Beruf, Gesellschaftliches.
Der Erzähler wächst im biederen kleinstädtischen Deutschland auf, geprägt von einem Vater, der als Handballer eine Karriere hinter sich hat, fest verankert im gesellschaftlichen Leben der Kleinstadt ist und nichts mehr erhofft, als dass der Sohn in seine (sportlichen) Fussstapfen tritt. Ein väterlicher Wunsch, den der Sohn durchaus zu erfüllen versucht, aber schon in seinen Anfängen kläglich scheitert. Es muss eine andere Rolle sein, am liebsten die Rolle eines Schauspielers. Und diese Rolle findet der Erzähler nicht in seiner kleinen Stadt. Eine Reise beginnt, eine Reise, in der er sich aber auch von seinem Ursprung entfernt. Auch eine Reise weg von seiner Familie.
Jörg Hartmann nimmt die gesellschaftlichen und politischen Beben Deutschlands mit in seinen Roman; vom Mauerfall bis zur Pandemie. „Der Lärm des Lebens“ ist mit Nichten ein sentimentaler Blick auf die Vergangenheit, ganz im Gegenteil. Jörg Hartmanns Blick ist ein kritischer, zuweilen emotional auch ein ziemlich aufgeladener. Der Blick auf ein lärmiges Leben, dessen Takt mit zunehmendem Alter immer weniger dem eigenen entspricht.
Jörg Hartmann gehört zu den bedeutendsten deutschen Charakterdarstellern. 1969 geboren, wuchs er in Herdecke, im Ruhrpott, auf. Nach seiner Schauspielausbildung und verschiedenen Theaterengagements wurde er 1999 Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne. Fernsehproduktionen wie «Weissensee» oder der Dortmund-Tatort, in dem er Kommissar Faber spielt, machten ihn einem breiten Publikum bekannt; im Kino war er etwa in «Wilde Maus» oder zuletzt in «Sonne und Beton» zu sehen. Jörg Hartmann wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Fernsehpreis, der Goldenen Kamera und dem Grimme-Preis. Für den Tatort «Du bleibst hier» (2023) schrieb er das Drehbuch. Er hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Potsdam.
Beitragsbild © Silvia Medina