«Der Glanz des Neuen fiel ab, und ihm war auf einmal, als sei alles, was ihn umgab, nur der Schein von dem, wofür er es gehalten hatte.» – Wenn es noch ein wirklich gutes Buch für den Spätsommer braucht, dann dieses!
Reinhard Kaiser-Mühlecker hat grosse Literatur geschrieben! Ein Buch, dass sich «artverwandt» vor Juli Zehs neustem Roman «Unterleuten» nicht zu verstecken braucht; ein Roman über das Auseinanderbrechen von Leben, das Einbrechen von Sehnsüchten, das Ausbrechen von selbstzerstörerischer Wut nach innen. Ein Buch über drei Generationen in einem Bauernhaus, vor allem über die Brüder Jakob und Alexander. Der grosse Bruder Alexander, der sich in seiner Jugend durch fast nichts beirren lässt, zuerst den Weg eines Kirchenmanns so deutlich und entschlossen einschlägt und wieder verwirft, wie zwischendurch den eines Mediziners und schlussendlich eines Militärs, getrieben von Sinnsuche, dem jüngeren Bruder Jakob zuerst ein Vorbild, dann entlarvt von seiner Distanz zum Leben, von Jakob abgestossen. Jakob, viel zu früh dem «bäuerlichen Trott» verfallen, schmeisst im Alleingang den Hof, einen Hof, der durch die undurchsichtigen Geschäfte des Vaters zum Sterben verurteilt ist. Der Vater ist nie da, dauernd auf der Jagd nach dem todsicheren Geschäft, das endlich das grosse Geld, die grosse Rendite abwerfen soll, dafür aber nach und nach alles verkauft, was sich auf dem Hof zu Geld machen lässt. Niemand traut sich; nicht die letzte Generation aufzubegehren, die älteren Generationen ehrlich zu sein, Misserfolg und Verschwiegenes einzugestehen. Jeder verschanzt sich hinter seinem Schmerz, seinen Verletzungen, dem grossen Fehlen. Selbst über das Sterben des Grossvaters hinaus, der mit seinem Erbe aus undurchsichtiger Vergangenheit manch einem in der Familie eine Wende verspricht, die dann aber auf sich warten lässt.
Reinhard Kaiser-Mühlecker schreibt in grossen Bögen, aus der Sicht der beiden scheinbar ungleichen Brüder, die sich bloss noch durch Zufälle näher kommen, und dann viel näher, als sie erahnen.
Ein starker Roman, der nicht bis an die Ränder zeichnet, vieles offen lässt, ohne mich als Leser alleine zu lassen. Ein Roman, der wie das Leben in keiner Weise zu erklären versucht und trotzdem ganz nah am Geschehen und den Personen bleibt. Ein Roman, dessen kunstvoller Plan glänzend schimmert und viel mehr dem Leben nach schildert als bloss Geschichte sein will. Ein Roman, der einen Lesesommer zu einem guten Sommer werden lässt. Unbedingt lesen!
Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien.
Sein Debütroman «Der lange Gang über die Stationen» erschien 2008, es folgten die Romane «Magdalenaberg» (2009), «Wiedersehen in Fiumicino» (2011), «Roter Flieder» (2012) und «Schwarzer Flieder» (2014), alle bei Hoffmann & Campe. 2015 erschien erstmals bei S. Fischer «Zeichnungen. Drei Erzählungen». Für sein Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung, dem Kunstpreis Berlin, dem Österreichischen Staatspreis und dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft.
Der Roman findet sich zurecht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises!