Jessica Anthony «Es geht mir gut», Kein und Aber

Wie tief die Lüge hinter der Antwort „Er geht mir gut“ ist, davon handelt der Roman der Amerikanerin Jessica Anthony. Der Versuch einer Frau, den eingeschlagenen Weg in einer Ehe, in ihrem eigenen Leben durch Verunsicherung in eine andere Richting zu zwingen. Ein Roman, der zwar in den Jahren nach dem letzten Weltkrieg in der us-amerikanischen Provinz spielt, aber symptomatisch für die Gegenwart ist.

1957. Während die Hündin Laika in einer sowjetischen Kapsel über der Erde kreist, ohne eine Chance, jemals lebend zurückkehren zu können, steigt Kathleen in ihrer Siedlung in den Gemeinschaftspool und bleibt drin. Im Gegensatz zu Laika kann sie aussteigen. Und wird es wahrscheinlich auch irgendwann tun. Dann, wenn das grosse Lügen endlich aufhört. Dann, wenn Vergil ihr endlich die Wahrheit sagt. Wenn sie es auch tun wird. Nicht nur die Lügen den anderen gegenüber. Auch die Lügen, die man sich selbst erzählt, um sich im Spiegel zu ertragen. Immer wieder einmal fordert Virgil seine Frau Kathleen auf, doch endlich aus dem Pool zu steigen. Aber Kathleen bleibt, taucht noch einmal und noch einmal unter, während die Haut schrumpelt und sich an den Fingernägeln aufwirft. Während die Jungs auf ihr Essen warten. Während sich die Gesichter all der andern Mieter in den Fenstern zeigen.

Jessica Anthony «Es geht mir gut», Kein und Aber, 2025, aus dem Englischen (USA) von Gabriele Werbeck Andrea Stumpf, 160 Seiten, CHF ca. 29.00, ISBN 978-3-0369-5055-6

1957 war alles möglich, die Welt technologisch im Aufbruch. Alles nach der Devise; Wer sich anstrengt, kann sich auch eine Scheibe abschneiden. Sputnik 2 war bloss der Anfang, Laika der Preis dafür. Ein Leben im Countdown, mit vorbestimmtem Ende. Dabei hätte es für Kathleen auch ganz anders ausgehen können, den auf dem Campus jener Universität für die sie damals erfolgreich Tennis spielt, hängt noch immer das Foto von ihr. Ein Porträt unter jenen, die es „geschafft“ haben, die etwas aus ihrem Leben gemacht haben, deren Leben von Erfolg gekröt war. Dabei war Kathleen dem Sport irgendwann überdrüssig. Dieser dauernde Stress, siegen zu müssen, denn nur Siege zählten. MAn machte ihr Hoffnungen, sprach davon, sie würde dereinst den Pokal in Wimledon in die Höhe stemmen. Und jetzt leg sie im Gemeinschaftspool einer Wohnanlage, war Hausfrau und Mutter zweier halbwüchsiger Kinder, verheiratet mit einem Mann, der alles daran setzte, die Fassade aufrecht zu halten.

Es ist Sonntag. Eigentlich der Tag, den man sich in den letzten Wochen für den Gottesdienst mit der ganzen Familie reservierte. So wie es zuvor lange Zeit jener Tag war, an dem Virgil mit seinen Freunden aus der Firma auf dem Golfplatz verbrachte. Nicht weil er sportlichen Ehrgeiz besessen hätte. Man spielt Golf, weil man als erfolgreicher Geschäftsmann am Sonntag Golf spielt. Im Gegensatz zu seiner Frau Kathleen besitzt Virgil nicht den Hauch sportlichen Ehrgeizes. Er vertraut ganz auf seine Wirkung. Er weiss, dass er gut aussieht. Er vertraut darauf, dass er auf seine Wirkung zählen kann. Ganz im Gegensatz zu seiner Frau Kathleen, deren Körper mit den beiden Geburten mehr und mehr aus der Form geriet. Man entscheidet sich, an diesem Sonntag nicht zum Gottesdienst zu fahren, auf die langweilige Predigt des dicklichen Pfarrers zu verzichten. Weil Kathleen im Wasser bleibt. Weil sie den Tag braucht, um über ihr eingezwängtes Leben nachzudenken, um nicht zu einer Laika zu werden, die ausweglos in eine erdferne Umlaufbahn geschossen wird. Schluss mit den Lügen.

Jessica Anthonys Roman ist eine vielschichtige, mehrperspektivische Erzählung über eine Frau, einen Mann, ein Paar, dass sich verloren hat. Das Motiv der Verweigerung ist ein altes. Würde Kathleen im Pool bleiben, würde sie sich mehr und mehr auflösen. Ein Prozess, der auch in ihrem Leben davor schon lange begonnen hat. Was bleibt von den einstigen Träumen, den Zielen, der Euphorie? War es das? Kathleen ist nicht bereit, aus dem Pool zu steigen und das alte Leben wieder aufzunehmen. Sie provoziert eine Wende. Sie erinnert sich an ihr Leben an einem Sonntag, an dem ihr klar wurde, dass sie längst bnur mehr funftionierte.

Jessica Anthony (1974) ist Autorin von vier Romanen, zuletzt erschien «Es geht mir gut», der auf der Longlist für den National Book Award 2024 stand. «Enter the Aardvark» (2020) war Finalist für den New England Book Award. Jessica Anthonys Werke wurden in zahlreichen Ländern veröffentlicht. Sie erhielt diverse Literaturstipendien. Eine ihrer Kurzgeschichten wird derzeit für eine Fernsehserie adaptiert. «Es geht mir gut» ist ihr erster Roman, der auf Deutsch erscheint. Jessica Anthony lebt in Maine.

Gabriele Werbeck hat Amerikanistik und Germanistik studiert. Sie lebt und arbeitet als freie Lektorin und Übersetzerin von literarischen und wissenschaftlichen Texten in München.

Andrea Stumpf studierte Germanistik und Philosophie. Sie lebt als freie Übersetzerin in München. Zu den von ihr übersetzten Autorinnen und Autoren zählen u. a. Annie Proulx, David Graeber und Louise Penny.

Gabriele Werbeck

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Beitragsbild © Matt Cosby