Sterben, Tod und Trauer sind Tatsachen, mit denen man sich schwer tut, weil sie den Menschen mit seiner Endlichkeit konfrontieren, selbst dann, wenn man ihnen beruflich und professionell begegnet. Louise Brown, ausgebildete Journalistin, wuchs in einen ganz speziellen Beruf hinein, in den der Trauerrednerin. In „Was bleibt, wenn wir sterben“ erzählt sie von ihren Beweggründen, den Begegnungen und all dem was Sterben und Tod aufreisst.
Als mein Vater im Sterben lag, rief man mir an und bat mich zu kommen. Ich stieg ins Auto und fuhr wie in Trance zum Spital, in dem man mit schwindender Hoffnung um das Leben meines Vaters kämpfte. Zusammen mit meiner Mutter sass ich in den Fluren vor dem Zimmer, in dem mein Vater lag. Man hatte erklärt, es sei nicht schön, dem beizuwohnen, was man mit dem Körper meines Vater mache, um ihn ins Leben zurückzuholen. Eine gefühlte Ewigkeit später liess man uns dann ein, weil man alle Maschinen entfernt hatte. Er lag da, bis zur Brust zugedeckt. Er war tot, seine Augen geschlossen, seine Haut schon kalt. Bis zu jenem Zeitpunkt, ich war selbst schon Vater, schon öfters Zeuge einer Beerdigung und mir durchaus bewusst, dass das Leben endlich ist, schlug mir das Unumstössliche, das absolut Endgültige und die Tatsache der endgültig gekappten Verbindung zu meinem Vater wie eine Faust in Magengrube und Gesicht zugleich. Fassungslos versuchte ich einzuordnen, was nicht sein sollte. Er lag da und war unsäglich weit weg. Es hatte ihn weggenommen, meiner Mutter, meiner Familie, mir. Es würde keine Blicke mehr geben, keine Umarmungen, kein Erwidern, bloss noch die Erinnerung.
Wahrscheinlich ist das die eigentliche Qualität dieses Buches. Louise Brown konfrontiert und ruft in Erinnerung. „Was bleibt, wenn wir sterben“ ist keine literarische Prosa, keine Sammlung von Trauerreden und auch keine Lebenshilfe. Louise Brown begleitet mich zu meiner Erinnerung, ruft zurück, was in meiner Erinnerung in ganz speziellen Räumen eingelagert zu sein schein. Ich habe jenen Tag, als mein Vater starb, nicht vergessen. Auch nicht die Tage danach, als meine Mutter und ich am Tisch sassen und taten, was nach dem Tod eines Vaters und Ehemannes zu tun ist. Ich habe auch nicht vergessen, wie ich um Worte, Sätze und Erinnerungen rang, als ich mich entschloss, die Trauerrede meines Vaters selbst zu schreiben und zu halten. Das erschreckende Bewusstsein, dass viele Erinnerungen, viel Wissen mit dem Tod eines Menschen unwiederbringlich verloren ist, dass jene Sätze, die man dann möglichst gefasst vor der Trauergemeinde vom Blatt liest, um nicht allzu oft in die Gesichter von Familie und Freunden schauen zu müssen, nur ein ganz kleines Fenster sind in ein Leben, dass in jenem Zimmer im Krankenhaus mit dem Ausschalten von Maschinen endete. Aber Louise Brown macht jene Räume, in denen meine Erinnerungen an das Sterben und den Tod eingelagert sind, weit auf. Sie ermuntert mich, sie nicht gleich wieder einzulagern, etwas aus ihnen zu formen und wenn es nur die Absicht ist, mich endlich mit meinem eigenen Ende auseinanderzusetzen.
Bei Louise Brown war es wohl ganz ähnlich. Selbst mit dem Tod konfrontiert, von Trauer gepeinigt und erstmal sprachlos gemacht, versucht sie als Trauerrednerin dem Sterben und dem Tod jenen Stellenwert zurückgeben, dem ihm eigentlich gebührt. Sterben werden wir alle. Der Tod ist unleugbar. Louise Brown erzählt, wie sie von der Journalistin zur Trauerrednerin wurde. Von vielen Begegnungen mit Hinterbliebenen, Zurückgebliebenen, Trauernden. Von der Konfrontation mit jenem letzten Kapitel des Lebens, das oft mit viel Schmerz und Leid verbunden ist. Mit Fragen: Was macht den Menschen, der gestorben ist, aus? Sind es die blossen Lebensdaten, die Karriere oder die kleinen und grossen Liebenswürdigkeiten, die jene schmunzeln lassen, die sich erinnern? Die Güte und das Gute?
Louise Browns Buch macht demütig.
Louise Brown, geboren 1975 in London, zog als Jugendliche mit ihrer Familie ins norddeutsche Ostholstein. Sie studierte Politikwissenschaft in Nordengland, Kiel und Berlin. Sie ist Journalistin und seit einigen Jahren auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig. Dort moderierte sie auch das erste «Death Café». In ihrem Podcast «Meine perfekte Beerdigung» spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen. Louise Brown lebt mit ihrem Partner, zwei Kindern und Hund in Hamburg.
Beitragsbild © Gene Glover / Diogenes