Je mehr Bücher in den Regalen unserer Wohnung stehen, desto seltener bekomme ich ein Buchgeschenk. Kein zugesandtes Rezensionsexemplar eines Verlags, das immer mit Erwartungen behaftet ist, sondern ein Geschenk. Ein Geschenk mit einer Widmung. Ein Schlüssel in eine Welt, in der man auf mich wartet.
So mache ich mir meine Buchgeschenke manchmal selbst. Etwas verschämt, weil es mehr als bloss ein Buch mit einer Geschichte ist. Ich machte mir ein Kunstbuch zum Geschenk; Buch gewordene Kunst – Kunst das Buch, Kunst die Hülle, Kunst im Buch, Kunst mit dem Buch – Kunst von Aljoscha Ségard!
Ich war im Netz unterwegs, verfolgte einen Hinweis zu Büchern einer Fotografin und blieb hängen an der Webseite der Till Schaap Edition. Dort wurde ein Kunstbuch angeboten, in das ich mich regelrecht verfing: «Eine leicht dahingespielte Tonfolge verdichtet sich zu einer Melodie».
1940, im Todesjahr von Paul Klee, kam sein Enkel Alexander Klee zur Welt. 1948 kam er in die Schweiz. Alexander Klee machte eine Lehre als Fotograf. Seit 1976 ist er als Aljoscha Ségard freischaffender Künstler. Zwei Werkgruppen beschäftigen ihn seit einigen Jahren. In Material-Kästen lässt der Künstler kleine Dinge zusammenkommen, die ihm im Alltag auf- und zugefallen sind. So entstehen poetische Reliquienkästchen voller offener Assoziationen. Geheimnisvolles prägt auch die Kohlenzeichnungen. Zu sehen sind rhythmisch gesetzte Linien, die sich zu Figurationen verdichten, teils zu tief schwarzen Flächen, teils zu schriftähnlichen Erzählungen.
So fallen Ségard die Dinge zu – als Bilder, deren Kern das Hintersinnige, das Witzig- Poetische und die Freude am Zusammenspiel von Bild und Wort ist.
Auf die Frage an Till Schaap, wie er auf den Künstler gestossen sei, schrieb dieser: «Mit Aljoscha Ségard (Alexander Klee) bin ich seit sehr langer Zeit freundschaftlich verbunden. Über seinen Grossvater Paul Klee habe ich, damals noch beim Benteli Verlag, zahlreiche Publikationen herausgegeben u.a. den «Catalogue raisonné Paul Klee» in 9 Bänden. Im Oktober dieses Jahres ist Aljoscha Ségard 80 Jahre alt geworden. Gleichzeitig feiert das Paul Klee Museum ZPK sein 15-jähriges Bestehen. Geplant war auch eine Ausstellung im ZPK, die jedoch Corona zum Opfer gefallen ist und auf Juni nächstes Jahres verschoben wurde. Im Vorfeld haben wir deshalb beschlossen, zu diesem Datum eine Werkübersicht über sein Schaffen herauszugeben. Konrad Tobler hat dazu einen wunderbaren Essay verfasst.
Der Künstler ist sehr mit Japan verbunden. Dort lässt er auch die Boxen herstellen, die er bespielt. Da noch eine Reihe der kleinen Boxen übrig war, entstand die Idee einer Vorzugsausgabe. Sie sollte zusammen mit dem Buch einen ganz speziellen Objektcharakter erhalten.»
Nun gehört Nr. 5 von 21 Unikaten mir. Ein schwarzes Kästchen, 15 mal 15 cm gross, das man aufhängen könnte. Aber dieses rätselhafte Kästchen fügt sich derart perfekt und ausgewogen in seinen roten Schuber, der sich handwerklich exakt um das kleine Kunstwerk schmiegt, dass ich Nr. 5 lassen muss, wo es ist. Diesen kleinen aufgebrochenen Brief in einer Sprache, die sich dem schnellen Blick entzieht. Diese Botschaft, die erst entschlüsselt werden muss, mir alle Freiheiten lässt, sie zu lesen oder zu lassen. Diese Zeichen, die wie aus einer andern Welt stammen, die mir bei jedem neuen Blick darauf neue Zeichen senden.
Aljoscha Ségard Kunstband «Eine leicht dahingespielte Tonfolge verdichtet sich zu einer Melodie» ist voller solcher Botschaften, sie sich auch wie kleine Partituren lesen lassen, verschriftlichte Musik. Mag sein, dass es genau das ist, was mich den Bildband immer wieder mit Verzückung und Begeisterung durchblättern lässt. Da hat jemand seine Sprache gefunden, seine Schrift, seine Musik und versendet Botschaften, die alles beinhalten können und viel freier sind als die strammen Buchstaben unseres Alphabets.
Beitragsbild © Monika Flückiger