Literaturtage Zofingen mit Gastland Slowenien
Kennen sie Slowenien? Wenigstens die Hauptstadt? Slowenien, erst seit 1991 ein eigenständiger Staat, ganz ähnlich wie die Schweiz mit vielfältiger Landschaft, sowohl geografisch wie sprachlich, besitzt eine äusserst lebendige Literaturszene, nach Island die zweithöchste Anzahl literarischer Veröffentlichungen gemessen an der Einwohnerzahl. Ein Land, das literarisch nicht erst wegen seiner Einladung an die Frankfurter Buchmesse literarisch prosperierte. Ein Land, in dem das Geschichtenerzählen Teil seiner Kultur, seines Selbstverständnisses ist.
Dass sich die Literaturtage in Zofingen jedes Jahr dem Gastland der Frankfurter Buchmesse widmen, ist einzigartig und gibt den BesucherInnen dieses Bücherfests einen ganz eigenen, besonderen Einblick in ein Land, das es zwischen den permanenten Unruheherden im Balkan und den politischen Verstolpereien seiner Nachbarländer kaum je in den Fokus der deutschsprachigen Welt schafft. Dabei bietet das Land alles, was an Abenteuern locken könnte; urige Landschaften, freundliche Menschen, spannende Geschichte(n) und Schätze, die geborgen werden wollen. Auf einige Höhepunkte der diesjährigen Literaturtage möchte ich hinweisen, im Wissen darum, dass ich andere(s) sträflich missachte.
Nataša Kramberger, geboren 1983, ist Schriftstellerin, Kolumnistin und Ökolandwirtin. Im Winter lebt sie in Berlin, wo sie den slowenisch-deutschen Kulturverein Periskop leitet, im Sommer arbeitet sie auf ihrem kleinen biodynamischen Bauernhof im slowenischen Jurovski Dol, nicht weit von Maribor. Ein Hof, den sie von ihrer Mutter übernahm, ein Anfang, von der Nachbarschaft belächelt und von der Aufgabe scheinbar heillos überfordert.
Ihr Debüt, 2017 in Slowenien und 2021 beim Verbrecher Verlag unter dem Titel „Verfluchte Misteln“ veröffentlicht erzählt die autobiographische Eroberung eines kleinen Hofs. Im Dorf lachen alle über ihre Absicht und selbst ihre Grossmutter, die auf der anderen Talseite lebt, zweifelt an ihr, ausgerechnet sie, bei der sie aufwuchs, die ihr in vielem als Vorbild gilt.
Die Erzählerin, mit 17 in die Grossstadt gezogen, zur Schriftstellerin geworden, mit 33 zurück zu ihren Wurzeln gekommen, glaubt theoretisch über ökologische Landwirtschaft alles zu wissen, um ziemlich schnell festzustellen, dass die praktische Arbeit dann doch ganz anders aussieht. Neben dem Kampf gegen die Eigenwilligkeiten der Natur, gegen die allgegenwärtige Bürokratie sind die literarischen Aufzeichnungen über ein ganzes Jahr auch Zeugnis ihres Kampfes gegen eigene Vorstellungen, ihre naive Entschlossenheit und Sturheit.
„Verfluchte Misteln“ erzählt zum einen selbstkritisch und humorvoll von diesen Kämpfen, aber ebenso von den Geschenken der Natur, von Kollaboration und Kooperation, davon, dass Landwirtschaft auch ausserhalb gängiger Konventionen betrieben werden kann, weit entfernt von reinen Produktionsstätten, dass das Leben mit der Natur, selbst dann, wenn man von ihr etwas zu gewinnen erhofft, ein Miteinander sein muss. Nicht nur bei der Lesung mit Gespräch Spangen die Funken. Der kleine Hof in Jurovski Dol ist zu einem Pilgerziel all jener geworden, die anpacken wollen. Nataša Kramberger ist ein Ereignis, sowohl literarisch wie menschlich!
Einer der ganz grossen der slowenischen Literatur ist der 1948 in Maribor geborene und schon lange in Ljubljana lebende Schriftsteller Drago Jančar, im ehemaligen Jugoslawien 1974 wegen ‚feindlicher Propaganda‘ inhaftiert und zuletzt 2020 mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet.
Nach einem halben Jahrhundert literarischen Wirkens, Romanen, Theaterstücken und Essays, schildert Drago Jančar in seinem neusten, bei Zsolnay erschienenen Roman „Als die Welt entstand“ vom jungen Danijel an der Schwelle von Kindheit zum Erwachsensein, 15 Jahre nach dem Ende des letzten Weltkriegs, in einem Land im Trauma eines Desasters, einer Kindheit, zerrieben in einer Familie zwischen mütterlichem Katholizismus und väterlichem Partisanenpatriotismus. Danijel muss seine Welt selber entdecken, die Liebe, die Verwirrungen der Jugend. Erst recht, als in der Wohnung unter ihnen die junge Sekretärin Lena einzieht und damit nicht nur Danijels Fantasie entflammt, sondern einen ganzen Stadtteil in Unruhe versetzt.
Drago Jančar erzählt die Geschichte Danijels aus zwei Perspektiven, aus der Sicht des Jungen und rückblickend aus der Sicht des älteren Mannes, eines direkt Betroffenen und einen aus zeitlicher Distanz Beobachtenden. Ein zweistimmiger Roman über den emotionalen Aufbruch ins Erwachsensein. Die grossen Themen Liebe, Hass, Verrat und Tod seien nicht nur Shakespeare und den alten Griechen vorbehalten, meinte der Autor mit einem Schmunzeln im Gesicht. Drago Jančars Roman gibt das Gefühl, als wären Friedenszeiten nur die Unterbrüche in stetig aufbrechenden Kriegen. Und doch ist „Als die Welt entstand“ kein niederschmetternder Roman. Durch all die Schwere blitzt betörender Humor.
Festivals wachsen nicht an Bäumen. Dass ein solches Festival stattfinden kann, setzt voraus, dass sich Büchermenschen über die Massen dafür einsetzen, von jenen, die das Programm machen, Dolmetscher organisieren, bis zu jenen, die während Stunden an der Kasse sitzen oder den liegengebliebenen Abfall entsorgen. Im Namen all jener, die an diesen drei Tagen Literatur geniessen, neue Namen kennenlernen und literarische Kostbarkeiten auf der Zunge zergehen lassen durften, bedanke ich mich bei allen, die zu diesem äusserst gelungenen Festival beigetragen haben.
Beitragsfotos © Gallus Frei (Aleš Šteger, der Sprachschamane)