Wie sehr wir uns einbilden, alles sei für eine Ewigkeit gemacht, sei es ein Leben, eine Liebe, eine Ehe, ein Zuhause. Monika Maron setzt in ihrem neuen Roman „Das Haus“ Menschen in ein neues Zuhause, Menschen, die alle spüren und wissen, dass das was kommt, endlich sein wird.
Eva hört bei Silvies achtundsechigsten Geburtstag von Katharinas Erbschaft, einem grossen Haus auf dem Land, das sie gerne zu einer Art Kommune für Freundinnen und Freunde herrichten möchte. Ein Landhaus mit grossem parkartigem Garten, alten Bäumen und einer Kapelle. Obwohl Eva im ersten Moment nichts von einer solchen Idee hält, wird alles anders, als man in der Stadtwohnung über ihr mit einem mehrmonatigen Umbau beginnt und Eva aus ihrer gewohnten Umgebung vertreibt. Und weil auf die Schnelle bei der aktuellen Wohnungssituation in Städten nichts zu finden ist, zieht Eva dann eben doch in Katharinas grossem Haus ein, allerdings nur „vorübergehend“.
Eine Alterswohngemeinschaft. Eine ehemalige Buchhändlerin, ein von seiner Frau sitzengelassener Galerist, eine Tierärztin, ein angeschlagener Historiker mit seiner Ehefrau… lauter Menschen, die sich in ihrem neuen Zuhause ein Stück Zukunft mit neuer Perspektive erhoffen. Eva bleibt distanziert, so wie die Bewohner des Hauses bei meiner Lektüre seltsam distanziert bleiben. Eva geniesst die Ruhe, man gibt sich kultiviert, sitzt an lauen Abenden vor dem Haus bei einem Glas Wein oder im Raucherzimmer und diskutiert. Man speist am langen Tisch im grosszügigen Esszimmer, spaziert durch den Garten, durchs Dorf. Eine Idylle – bis Katharina, als ehemalige Tierärztin, einen Hund aufnimmt und es wegen einer angeblichen Hundehaarallergie der Ehefrau des Historikers zum ersten Mal Risse im filligranen Gefüge der Wohngemeinschaft gibt. Aber weil Katharina die Besitzerin des Hauses ist und sich alle davor fürchten, was ein Machtkampf auslösen könnte, scheint die Ruhe fürs erste zurückgekehrt, weil sich alle darum bemühen, den Vierbeiner nicht zu einem Stolperstein werden zu lassen.
„Simmt es, dass du auf Katharinas Gnadenhof gelandet bist?“
Irgendwann quartiert sich Alexander ins Gästezimmer der AltersWG ein. Ein Schriftsteller, Krimiautor. Mit jedem neuen Gast verändert sich das Klima in der Gemeinschaft, die sich alle nicht aus Freude am Experiment zusammenfanden, sondern wegen des Mangels umsetzbarer Alternativen. Alex ist ein scharfer Beobachter, der sich auch nicht scheut, Gespräche dorthin zu manövrieren, wo Ungemach droht. Eva spürt, wie der Haussegen zu kippen drohnt. Und als in der nahen Umgebung der Wald zu brennen beginnt, die sommerliche Hitze unerträglich wird und man die Dörfer in der Nähe evakuiert, entfernt sich die Stimmung im Haus immer mehr von Landhausidylle und Genussresidenz.
Erst recht, als eines Morgens ein Schrei die Stille im Haus zerreist.
Monika Maron bläst nicht in die Glut des Zeitgeschehens, damit sich die Dramaturgie ihrer Geschichte entfacht. In ihrer unspektakulären Art des Erzählens bleibt das Geschehen in und um dieses Haus beinahe wattiert. Man diskutiert bei einem Glas Wein über Klimaveränderung und die zunehmende Gewalt in der Gesellschaft, über Extremismus und die drohenden Zeichen der Zeit. Aber man schenkt sich weiter Wein ein und versucht, bis in den letzten Augenblick zu geniessen, im Wissen darum, dass „die Welt brennt“. „Das Haus“ ist ein ganz und gar still erzählter Gesellschaftsroman, der mich deshalb schon „aus der Vergangenheit“ erzählt scheint, weil ausser dem Fernseher, an dem die Hausgemeinschaft allabendlich die Neuigkeiten entgegennimmt, nichts von dem ins Haus kommt, was die Gegenwart ausmacht; kein Mobilphone, kein Computer. Man liest Bücher. Man spricht miteinander. Man isst am langen Tisch, bei Kerzenlicht und leiser Musik. Es ist, als ob in diesem Buch betuliche Vergangenheit und bedrohliche Zukunft aufeinandertreffen.
Monika Maron, geboren 1941 in Berlin, ist eine der bedeutendsten
Schriftstellerinnen der Gegenwart. Sie wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik nach Hamburg und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane und mehrere Essaybände. Ausgezeichnet wurde sie mit zahlreichen Preisen, darunter der Kleistpreis (1992), der Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Homburg (2003), der Deutsche Nationalpreis (2009), der Lessing-Preis des Freistaats Sachsen (2011) und der Ida-Dehmel-Literaturpreis (2017).
Beitragsbild © Jonas Maron