«Bernstein und Valencia» sind Stories der Schweizerin und in Italien lebende Autorin Sibylle Ciarloni, die sehr lesenswert sind, deshalb traf sich Urs Heinz Aerni mit ihr in einem Café und stellte dazu Fragen.
«Oft sind Träume schöner»
Urs Heinz Aerni: 22 Erzählungen oder Stories, 22 Welten und Überraschungen. Bilden Ihre Texte das Leben ab wie es ist, oder wie es sein könnte, ja sogar sollte?
Sibylle Ciarloni: Meine Stories sind Ausschnitte von Leben, die sein könnten, vielleicht sogar so gewesen sind. Ich wünsche mir manchmal etwas und in meinen Vorstellungen geschieht es dann. Mehr muss in manchen Fällen gar nicht sein. Oft sind Träume schöner als deren Machbarkeit und Wirklichkeiten.
Aerni: Die Texte zeichnen sich auch aus durch recht unterschiedliche Sprach- und Perspektivformen aus. In welchem Zeitraum ist die Sammlung entstanden?
Ciarloni: Es sind Geschichten, die alle aus dem letzten Jahrzehnt stammen, bis auf die Anweisung, wie man sich selbst als Fisch zeichnet. Ich nutze gerne die Fähigkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Die habe ich mir angeeignet, um weiter zu sehen, anderes zu sehen als das, was mir gezeigt wurde. Die gewählte Sprache hat mit der gleichen Fähigkeit zu tun. Es gibt verschiedene Wege, wie man etwas erzählen kann. Allerdings ist das bei mir nie eine Entscheidung, ich folge eher meiner Intuition und prüfe später, ob das so passt.
Aerni: Was macht für Sie im Besonderen Freude, kurze Geschichten zu erzählen als ein großer Roman zu schreiben?
Ciarloni: Ich bewundere Erzählerinnen und Erzähler, die große Bogen in wenigen Worten auf den Punkt bringen und sich auf dem Weg dahin akribisch und präzise in einer Beschreibung verlieren, nur um schließlich gekonnt wieder hinauszufinden. Das hat mit souveränem Austarieren der Wichtigkeit von Inhalten zu tun und mit einem Anspruch an die Lesenden. Sie werden nicht alles beschrieben bekommen, sie dürfen selber denken und zwischen den Zeilen lesen. Das gefällt mir.
Aerni: Sie zeichnen Ihre Figuren liebevoll zwischen Sinnlichkeit, Skurilität aber auch Ironie. Sind es zuerst Personen, die zum schreiben inspirieren oder Umstände?
Ciarloni: Es sind beide. Vielleicht zuerst die Umstände, denn sie bringen mich irgendwohin im Leben und dort treffe ich auf Menschen. Zusammen gestalten wir wiederum die Umstände oder ich habe überhaupt nichts zu schaffen mit ihnen, sondern sehe sie bloß oder höre sie reden. Der Rest ist meine Art, auf die Welt und die Menschen zu schauen. Dann entstehen Gedanken, dann entstehen Geschichten.
Aerni: Sie wuchsen im Aargau auf, leben nun in Italien und nun treffen wir uns hier in Zürich. Berlin ist in ihrem Buch sehr präsent, wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Zürich beschreiben?
Ciarloni: In Zürich leben liebe Freunde mit denen ich mich treffe oder die mich in Italien besuchen. Mit manchen arbeite ich auch zusammen. Ich bin gerne hier, weil sie hier sind. Ein Verhältnis zu Zürich habe ich durch sie, weil ich hier gewohnt und gearbeitet habe und weil Zürich die von meinem Aargau – Lenzburg und Baden – aus gesehen die nächste größere Stadt war, für mich also die erste, die es zu entdecken und zu durchkämmen galt wie später dann andere Städte.
Sibylle Ciarloni wuchs im Schweizer Mittelland auf, lebt und arbeitet zudem auch an der Adria. Zum Schreiben kam sie über einen Sendeplatz am Radio und es folgten Auftritte mit Hörstücken in der Schweiz und in Deutschland, ein Atelier Stipendium in Berlin (2011), die Herausgabe mehrerer fast ernst gemeinter Themenpapiere (Ein Tag im Bett, Von Haaren), des Foto-Essays Strandläufer (2017) und der Betrieb des Veranstaltungsraums Salon Billa in Baden. 2018 war Sibylle Ciarloni Artist in Residence in Nairs, Zentrum für Gegenwartskunst im Engadin.
Blog und Veranstaltungen auf der Webseite der Autorin
Ihr aktuelles Buch von dem hier die Rede war, heißt „Bernstein und Valencia – Stories, Knapp Verlag, CHF 19.80
Beitragsbild © Bettina Matthiessen