Man könnte meinen, die Schriftstellerin von „Kinder des Zufalls“ wäre eine US-Amerikanerin. Nicht wegen der Fotos, die auf Buch, Verlagsvorschau und Netz gezeigt werden, fast immer mit Hut und amerikanischer Landschaft im Hintergrund, sondern wegen der Art ihres Erzählens, als hätte sie sie in ihrem Leben dort eingesogen. Nicht wegen der Schauplätze im neuen Roman, sondern weil ich während des Lesens den Staub der Hihgways in der Nase, selbst auf der Zunge spüre.
Alle Protagonisten in „Kinder des Zufalls“ sind unterwegs und kommen nie an. Maxwell und seine aus Deutschland kommende Mutter, Elisabeth und selbst ihre in Deutschland gebliebene Mutter Annegret. Sie sind getrieben, auf der Suche nach äusserm und inneren Zuhause.
Nach dem zweiten Weltkrieg verstummen die Väter, die späteren Grossväter. Die einen sind auf den Schlachtfeldern verendet, die anderen vegetieren als traumatisierte und geschundene Existenzen, als Rückkehrer und doch Gezeichnete in einem Deutschland, das sie wie den Krieg mehrfach verloren haben. Maxwells Vater starb im Vietnamkrieg, ohne zu wissen, dass er Vater geworden war. Und Elisabeths „Vater“ dämmert bis zu seinem Tod in einem speckigen Ohrensessel.
Maxwells Mutter sucht ihr Glück als Tänzerin, bis das Knie ihre Karriere als Ballerina beendet und sie sich mit Auto und Kind auf die Suche nach dem verlorenen Glück macht. Eine getriebene Existenz auf der ewigen Suche, zusammen mit Maxwell, ihrem Sohn, die niemals Sicherheit oder ein Zuhause erfährt.
Maxwell und Elisabeth begegnen sich, zwei durch Unruhen und permanenten Seitenwind aus der Spur geratene. Irgendwo im texanischen Nirgendwo, einem Ort, der aus nichts Geschichte macht, kreuzen sich Maxwells und Elisabeths Lebensgeschichten, begegnen sich nur kurz, um lange Zeit nebeneinander zu bleiben.
Astrid Rosenfeld spürt zwei verlorenen Existenzen nach. Maxwell und Elisabeth werden nie jene, die sie hätten sein können, sehnen sich ein Leben lang nach Erfüllung, einer Heimat, sei es auch nur in einem einzigen Menschen, und Liebe. Astrid Rosenfeld ent-wickelt, fabuliert, verstrickt neu, verwebt, gibt ihrem nur 270seitigen Roman grosse Dimension und Intensität und jenen „amerikanischen Drive“, der zu ihrem Auftreten passt. Da ist keine Geschwätzigkeit, sondern Reduktion auf einen klaren Strich und filigrane Zeichnung von Figuren und Situationen. Sie bleibt erfrischend offen, manchmal mit ihrem Erzählen gar in der Schwebe.
Ein Buch über die Suche nach Liebe, über die Flucht vor der Vergangenheit, all den Vergangenheiten, die nicht und niemals loslassen. Über Wahrheiten, die verloren gehen und Irrtümer, die sich an ein ganzes Leben haften. Träume beherrschen Leben. Sei es bei Menschen voller Träume oder bei jenen, denen Träume gänzlich abhanden gekommen sind.
Astrid Rosenfeld wurde 1977 in Köln geboren. Ihr Berufsziel war, nach der Schule Schauspielerin zu werden, daher ging sie nach dem Abitur nach Kalifornien, um erste Berufserfahrungen am Theater zu sammeln. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland begann sie eine Schauspielausbildung in Berlin, die sie aber nach anderthalb Jahren abbrach. Anschliessend war sie in verschiedenen Jobs in der Filmbranche tätig. Ihr Romandebüt «Adams Erbe» erschien im März 2011 die Diogenes. Astrid Rosenfeld lebt in Berlin.
Beitragsbild © Sandra Kottonau