Christoph Ransmayr «Arznei gegen die Sterblichkeit», S. Fischer

«Ein Schriftsteller? Ein Dichter? Nein, ich erhebe keinen Anspruch auf solche Titel. Ein Erzähler? Nennen Sie mich, wie Sie wollen», meint Christoph Ransmayr über sein Selbstverständnis als Autor. Mit «Arznei gegen die Sterblichkeit» macht Christoph Ransmayr ein Geschenk.

Drei Geschichten, ein schmales Büchlein. Damit macht man eine Zugfahrt durch eine regenverhangene Landschaft zu einem Ereignis, das unerwartet lange Warten beim Arzt zur Reise bis in die Steinzeit, man besänftigt den unruhigen Geist, der sich nachts gegen den Schlaf wehrt.

In seiner Vorgeschichte unter dem Titel «Arznei gegen die Sterblichkeit» macht sich der Schriftsteller Gedanken zu seinem Tun, seinem Schreiben, vergleicht sich mit dem alten, vernarbten Mann, der vor mehr als einer Million Jahren unter einer überhängenden Felswand an einer Feuerstelle sitzt und Geschichten erzählt. «Das einzige Tauschmittel, mit dem er … für menschliche Gesellschaft bezahlen kann, ist der Brückenschlag von den Dingen und Gestalten des Lebens über den Abgrund der Sprachlosigkeit hinweg in das Reich der Laute, des Flüsterns, des Schreiens und der Worte.» Christoph Ransmayr sieht sein Tun wie jenes des Geschichtenerzählers, der sich damit seine Existenzberechtigung gibt. Leicht nachvollziehbar in einer Zeit, in der Optimierung und Leistung zählen, in der einem eine Aufgabe zugesprochen wird, in der man zu funktionieren hat. Etwas, was mit der Kunst alles andere als harmoniert. Etwas, was immer und immer wieder Rechtfertigung fordert, dass allzu schnell und leicht als Beigemüse abgeurteilt wird, wo vergessen wird, dass das Erzählen, die Sprache, die Kunst überhaupt Identität schafft, Selbstbewusstsein. Kunst erinnert, mahnt, konfrontiert, provoziert, hinterfragt. Was wäre eine Gesellschaft, die sich all das nicht leisten würde?

In der ersten Geschichte «Mädchen mit gelbem Kleid» erzählt Christoph Ransmayr vordergründig von einer Reise nach, der Begegnung mit einem Kind, das sich mit dem Schleppen eines Wasserkanisters abmüht, denn die einzigen Rohre, die je verlegt wurden, gehören Konzernen zur Bewässerung ihrer Plantagen, von der Begegnung mit Berggorillas, dort wo Forscherin Dian Fossey hinterrücks erschlagen wurde. Ransmayr offenbart, wie sehr sich Europa über Jahrzehnte an der Welt bediente, sie sich zu Untertan machte, schamlos ausbeutete, Mensch, Tier, Natur, Bodenschätze. Dass der Reichtum Europas bis in die Gegenwart vom Blut der Jahrhunderte getränkt ist. Ransmayr reist nicht als Tourist. Schon sein Buch «Atlas eines ängstlichen Mannes» macht klar, dass Christoph Ransmayr keine Reiseziele sammelt. Es sind Begegnungen, zu denen mich der Autor mitnimmt, Begegnungen mit Menschen, mit der Menschlichkeit, auch dort, wo sie vergessen scheint.

In der dritten Geschichte «An der Bahre eines freien Mannes» erzählt er die Geschichte von Kohlhaas. Nicht jene mit der sich Kleist in den Kanon der deutschen Literatur schrieb und doch von jenem Kohlhaas, jenem aufrechten, guten Menschen, der sich mit der Justiz anlegt und an der «Gerechtigkeit» zugrunde geht. Ransmayr erzählt von seinem Vater, einem unehelichen Kind, mit vielen Talenten gesegnet und gefördert, der sich während des Krieges erfolgreich um eine Nazikarriere «drückte», Lehrer wurde, engagiertes Mitglied einer kleinen Landgemeinde, bis man ihm den Strick um den Hals legte und ihn in einem dorfinternen Machtkampf unlauterer Geschäfte beschuldigte. Sein Vater verstrickte sich mit der Justiz und dem Dorf und als er endlich freigesprochen in sein altes Leben zurückkehren wollte, starb seine von Sorgen gequälte Frau. Eine Geschichte darüber, dass es manchmal nicht reicht, Gutes zu tun, ein guter Mensch sein zu wollen. Vielleicht auch eine Geschichte darüber, dass sich Ransmayr selbst nicht traut, von sich selbst als Dichter und Schriftsteller zu sprechen.

«Arznei gegen die Sterblichkeit» ist Anstoss für vieles. Ein literarisches Kleinod, ein wunderbarer Beweis für die Kunst eines grossen Schriftstellers. Und für all jene, die Ransmayr schon lange kennen eine Ode an die Erinnerung.

© Magdalena Weyrer

Christoph Ransmayr wurde 1954 in Wels/Oberösterreich geboren und lebt nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder in Wien. Neben seinen Romanen «Die Schrecken des Eises und der Finsternis», «Die letzte Welt», «Morbus Kitahara», «Der fliegende Berg» und dem «Atlas eines ängstlichen Mannes» erschienen bisher zehn Spielformen des Erzählens, darunter «Damen & Herren unter Wasser», «Geständnisse eines Touristen», «Der Wolfsjäger» und «Gerede». Für seine Bücher, die in mehr als dreissig Sprachen übersetzt wurden, erhielt er zahlreiche literarische Auszeichnungen. Zuletzt erschien der Roman «Cox oder Der Lauf der Zeit».

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Rezension von «Cox oder Der Lauf der Zeit» auf literaturblatt.ch

Beitragsbild © Sandra Kottonau