«In jener Nacht wendeten sich die Dinge. Als ich in der Dunkelheit an sie geschmiegt lag und der lärmenden Unruhe der Stadt lauschte, fühlte ich deutlich die Veränderung. Zuletzt war mir jedes Geräusch, jedes Autobrummen, jede Stimme feindlich erschienen; kleine Psychose nach Monaten des Ausnahmezustands.»
Wer aber glaubt, die Liebe würde in Philipp Hagers eigenartiger Liebesgeschichte retten, wird enttäuscht. In diesem speziellen Roman zum Glück.
Was, wenn einem beim Lesen der «Held» nicht sympathisch wird, wenn einem die Welt, in der er lebt, fremd bleibt oder gar zuwider ist, wenn man den Protagonisten nicht versteht, wohl wie er dahin kam, aber nicht wie er weiter geht und man ihn am liebsten rütteln würde, in der Verzweiflung gar ins Gesicht schlagen? Insofern warne ich vor der Lektüre dieses Buches. «Liebe unter Einzellern» ist kein Buch fürs Nachttischen, nichts zum Naschen, weit weg von Gutelauneliteratur, auch wenn die Sprache den Inhalt zu überblenden vermag. Wer aber trotzdem den Mut hat, sich von Sprache und Nähe zum Geschehen betören zu lassen, wer 110 Seiten lang in eine Welt hineinsehen will, die trotz aller Nähe fremd bleibt, die aus dem eigenen und dem Fokus der Gesellschaft gefallen ist, weil wir hinnehmen, dass es Gestrandete, Randständige, eine Welt in unserem Schatten gibt, wird belohnt.
Philipp Hager erzählt von einem 18jährigen, der die junge Maria kennen- und lieben lernt. Beide wuchsen in Familien auf, deren Existenz sich dauernd um Drogen und Beschaffung drehte, die dauernd auf der Flucht, zumindest vor sich selbst waren. Auch das junge Paar schafft und will es nicht, ein konformes Leben zu führen. Mal schnorrt man Leute um Bares, mal blüht man auf mit der Aussicht auf schnelles Geld, mal sauft man sich weg, pumpt der Zorn.
Das erstaunlichste am Buch ist die Schere zwischen Sprache und Inhalt. Als würde man in zarten Pastelltönen das Elend malen. Philipp Hager wühlt nicht im Leben der Menschen am Rand. Er versteht es, mit der Sicht von Innen zu schreiben, ohne bei mir beim Leser voyeuristische Gefühle zu erzeugen, wenn man sich als Leser am Elend der Beschriebenen ergötzt (wie bei Heinz Strunks «Der goldene Handschuh»). Ein besonderes Buch, das von manchen einiges abverlangen wird. Aber selbst in der Natur gibt es wunderschöne Blumen, die fürchterlich stinken.
1982 in Scheibbs, Niederösterreich, geboren. Abgebrochenes Studium der Geschichte und Völkerkunde. Anschließend verschiedenste Jobs und Vorstrafen. Langjährig als Reporter und Kolumnist für ein Kampfsportmagazin in ganz Europa unterwegs. 2008 erschien mit “Das Spektrum des Grashalms” der Debüt-
roman. Nach vier Gedichtbänden und dem Roman “Im Bauch des stählernen Wals” beschreibt der Autor das “Handbuch der Herzoperation” als Wendepunkt, den Beginn einer neuen Zeitrechnung, die mit dem aktuellen Roman “Liebe unter Einzellern” fortgeführt wird. (Bild: Jorghi Poll)