literaturblatt.ch fragt, Teil 9, Reinhard Kaiser-Mühlecker antwortet

Ihr neuster Roman „Fremde Seele, dunkler Wald“ erzählt die Geschichte zweier Brüder, deren Biographie sich immer weiter voneinander trennt. Gleichzeitig ist es die Geschichte über den Schmerz des Verlustes; das Zerbrechen der Familie, das Verschwinden eines Ortes, an den man heimkehren kann. Leiden Sie mit, wenn Sie schreiben?
Leiden würde ich nicht sagen, aber so nah an den Dingen, wie man es beim Schreiben ist, ist man sonst kaum je einmal; und zugleich, seltsam, so fern auch den Worten.
     Da ist ein Hof, auf dem drei Generationen leben und leiden. Allen drei Generationen ist es nicht möglich, sich selbst zu retten; nicht dem Jüngsten Jakob, der den Hof sterben sieht, nicht dem Vater, der mit allen unmöglichsten Geschäftsideen Geld machen will und nicht der Grossvater, der wohl  einiges aus seiner Zeit vor Ende des Weltkrieges hinüberretten konnte. Die Familie als Urbühne aller Konflikte?
Als eine zentrale Bühne, ja; aber meine wichtigste bleibt doch der Einzelne («the human heart in conflict with itself», nannte W. Faulkner es) – ob es für das, was ich zeigen will, dann einen Familienzusammenhang braucht oder nicht, entscheidet das Schreiben. 
     Es gibt Schreibende, die Geschichten erzählen wollen, mit Spannung fesseln. Andere, die politische und gesellschaftskritische Inhalte und Meinungen in literarisches Schreiben verpacken. Was wollen Sie mit Ihrem Schreiben? Ganz ehrlich!
Etwas beschreiben, was außer mir keiner beschreiben kann; eine Wahrheit sagen, die außer mir keiner kennt. Aber ich will doch auch spannende Geschichten erzählen, und wenn mir einer sagt, was oft geschieht, er oder sie habe mein Buch wie einen Krimi verschlungen, ist mir das schon ein Lob. 
     Wo und wann liegen in ihrem Schreibprozess der schönste oder/und der schwierigste Moment? Gibt es gar Momente vor denen sie sich fürchten?
Das Schreiben selbst ist das Schönste. Quälendes, das einen Stunden oder Tage oder Wochen beschäftigen kann, gibt es zuhauf, aber Furcht kenne ich keine, höchstens die, keine oder zuwenig Zeit zu haben. 
     Lassen Sie sich während des Schreibens beeinflussen, verleiten, verführen? Spielen andere Autorinnen und Autoren, Bücher (nicht jene, die es zur Recherche braucht), Musik, besondere Aktivitäten eine entscheidende Rolle?
Im Grunde lese ich eher vorsichtig, wenn ich schreibe; aber ich lese immer. In  Zeiten der Schwermut oder der Ausweglosigkeit gehe ich dann zu gewissen Autoren, nicht immer zu den gleichen, wie eine kranke Kuh auf der Suche nach dem heilenden Kraut. 
     Inwiefern schärft Ihr Schreiben Sichtweisen, Bewusstsein und Einstellung?
Das Schreiben ist mir gemäß. Auch das Briefschreiben übrigens, das ich vernachlässige. Ich habe schon sehr schöne Briefe geschrieben in meinem Leben, bin oft Tage an einem Brief (= fast immer Mail) gesessen. Im Gespräch ist mit mir nicht viel anzufangen, immer weniger eigentlich, oder immer mehr fällt es mir auf; sehr oft will ich gar nicht sprechen. 
     Es gibt die viel zitierte Einsamkeit des Schreibens, jenen Ort, wo man ganz alleine ist mit sich und dem entstehenden Text. Muss man diese Einsamkeit als Schreibende(r) mögen oder tun Sie aktiv etwas dafür/dagegen?
Ohne Möglichkeit zum Rückzug kann ich nicht schreiben. Ich suche ihn, den Rückzug, und wenn ich ihn nicht finde, schreibe ich immer bloß Wetternotizen. – Ich gehöre aber nicht zu denen, die gerade sehr viel dagegen haben, Zeit alleine zu verbringen. 

  Erzählen Sie kurz von einem literarischen Geheimtipp, den es zu entdecken lohnt und den sie vor noch nicht allzu langer Zeit gelesen haben?

Im Augenblick lese ich Franz Tumler, den ich hoch schätze und der wegen seiner NS-Sympathisiererei – und wohl noch mehr, weil er sich hinterher nie so recht distanzieren oder rausreden wollte – ziemlich in der Versenkung verschwunden ist. Zum Glück macht der Innsbrucker Haymon Verlag seit einigen Jahren seine wichtigsten Bücher wieder zugänglich.  
     Frisch hätte wohl auch als Architekt sein Auskommen gefunden und Dürrenmatt kippte eine ganze Weile zwischen Malerei und dem Schreiben. Wären Sie nicht Schriftstellerin oder Schriftsteller, hätten sich die Bücher trotz vieler Versuche nicht verlegen lassen, hätte es eine Alternative gegeben? Gab es diesen Moment, der darüber entschied, ob Sie weiter schreiben wollen?
Ich hätte mir irgendetwas gesucht, wo man keinen Vorgesetzten hat. 
     Was tun Sie mit gekauften oder geschenkten Büchern, die Ihnen nicht gefallen?
Manchmal lasse ich eines auf einer Parkbank liegen.

 

Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung in Wien.
Sein Debütroman ›Der lange Gang über die Stationen‹ erschien 2008, es folgten die Romane ›Magdalenaberg‹ (2009), ›Wiedersehen in Fiumicino‹ (2011), ›Roter Flieder‹ (2012) und ›Schwarzer Flieder‹ (2014) sowie ›Zeichnungen. Drei Erzählungen‹ (2015). Für sein Werk wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter dem Preis der Jürgen-Ponto-Stiftung, dem Kunstpreis Berlin, dem Österreichischen Staatspreis und dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft. Zuletzt erschien der Roman ›Fremde Seele, dunkler Wald‹ (2016), der für die Shortlist des Deutschen Buchpreises nominiert wurde.